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Verzwickt chaotisch

Verzwickt chaotisch

Titel: Verzwickt chaotisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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mir.

Hormonwechsel
    »Hör auf, mich in die Kniekehle zu zwicken!«
    Ich stieß Leander meine Fußspitze in den Rücken, doch er rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle.
    »Dann gib mir endlich meinen Toast!«, motzte er.
    »Er ist noch im Toaster! Gedulde dich!«
    Wie immer hatte Leander morgens grässliche Laune. Und wie immer hockte er unter dem Tisch auf dem Boden, lehnte sich schwer gegen meine Beine und mümmelte vor sich hin. Eigentlich war das gar nicht mehr notwendig. Denn Mama war soeben summend ins Bad verschwunden. Sie hatte sich mir unnatürlich vergnügt präsentiert und fand heute Morgen alles schön. Nicht einmal der kleine Disput zwischen Papa und ihr hatte sie aus ihrer Glückseligkeit reißen können. Es war um die Renovierung der Geschäftsräume im Keller gegangen – mal wieder. Momentan improvisierte Papa. Die Wände waren verrußt und es stank nach verbranntem Papier und kokelndem Holz, doch die technischen Geräte funktionierten und der Wasserrohrbruch war repariert. Also, fand Papa, könne er dort unten auch Kunden empfangen. Mit Kunden meinte Papa tote Menschen. Und in diesem Punkt musste ich ihm recht geben: Den toten Menschen sollte es herzlich egal sein, ob die Wände verrußt waren oder nicht.
    Papa wollte den Keller erst dann renovieren lassen, wenn die wenigsten Leute starben. In den Sommerferien. Damit war Mama einverstanden, weil sie den heimlichen Plan hegte, in dieser Zeit mit uns in den Urlaub zu fahren – etwas, was wir seit Jahren nicht mehr getan hatten. Denn die Hindemeiers von der Parkinsel hatten Papa einen »hübschen Obulus« – so hatten sie es genannt, es war jedenfalls genug Geld für einen Urlaub – zukommen lassen, nachdem ich ihre tote Verwandte aus den Flammen gerettet hatte. Als Belohnung. Sogar die Zeitung hatte über den Brand und meine »Heldentat« berichtet.
    Nicht einverstanden war Mama mit Papas Vorstellung von der Renovierung. Nein, umgekehrt. Papa war nicht mit Mamas Vorstellung einverstanden. Er wollte alles so haben, wie es vorher gewesen war. Grau, sauber und zweckmäßig. Ohne Schnickschnack und Tamtam, wie er sagte. Mama wünschte sich etwas mehr Freundlichkeit für diese tristen Räume, was übersetzt bedeutete: mindestens rosa Flakons, am liebsten aber rosa Wände, rosa Vorhänge und rosa Lämpchen. Sie hatte sich sogar für eine Lichterkette ausgesprochen, die sie um die Heizungsrohre winden wollte.
    Doch als meine Eltern sich eben gezankt hatten, hatten sie gewirkt, als hätten sie großen Spaß dabei. Mama trug ein verzücktes Lächeln auf den Lippen und Papa redete noch geschwollener daher als sonst, zwinkerte Mama aber fast ununterbrochen zu. Wie eine Eule mit einer unheilbaren Augenkrankheit. Ich fand ihr Gehabe ekelhaft und war froh, dass die beiden mich nach ein paar Minuten giggelnd allein gelassen hatten. Nun hörte ich, wie Mama die Wohnungstür zuwarf und nach unten stampfte. Wahrscheinlich wollte sie Papa im Keller einen Zwinker- und Kicherbesuch abstatten. Bäh.
    Ich zuckte zusammen, als die Weißbrotscheibe mit einem Klong aus dem Toaster sprang und quer durch die Luft segelte. Leanders Hand schnellte schräg nach oben und fing sie geschickt auf. Dann krabbelte er gähnend unter dem Tisch hervor, um sich neben mich zu setzen.
    Auch das Frühstück war eine verzwickte Angelegenheit geworden, seitdem Leander beschlossen hatte, »für immer« zu bleiben. Wir teilten uns fünf Toasts. Jeder zweieinhalb. Leander einen mit Honig und anderthalb mit Marmelade. Ich beschränkte mich auf Erdnussbutter. Für meine Eltern sah das aus, als würde ich jeden Morgen fünf Toasts mit Honig, Erdnussbutter und Marmelade in mich hineinstopfen.
    Nachdem ich Mama von der irrigen Vorstellung abgebracht hatte, dass ich unter einer Essstörung litt, erwähnte sie immer wieder mit verkniffener Miene, wie ungerecht die Welt doch sei. Ich könne essen, so viel ich wolle, und würde doch kein Gramm zunehmen. Ja, bei Mama sah das ein bisschen anders aus. Sie war nicht dick, aber mächtig. Papa nannte es »Hüftgold«, Mama verzweifelte an ihren üppigen Maßen. Sie konnte ja nicht ahnen, dass Leander stets die Hälfte von dem verschlang, was morgens auf meinem Teller landete.
    Und zu allem Überfluss bekam ich jeden Morgen Schelte, weil der Boden von Krümeln bedeckt war, sobald ich aufstand. Mama war es schleierhaft, wie Marmeladenkleckse mitten unter dem Tisch landen konnten. Ich hätte wirklich ein sagenhaftes Talent, für Chaos zu sorgen. Papa

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