Verführerisches Feuer
PROLOG
Falcon Leopardi verzog angewidert das Gesicht. So also sah das feierliche Gedenken zum Geburtstag seines verstorbenen Halbbruders Antonio aus. Es war eine Idee ihres Vaters gewesen, die Falcon ausdrücklich nicht begrüßt hatte, schon gar nicht als willkommene Ausrede, um sich zu betrinken. Was die angeblichen Freunde Antonios allerdings anders zu sehen schienen.
Einer von ihnen beugte sich gerade plump vertraulich zu Falcon vor und blies ihm dabei seine Alkoholfahne ins Gesicht.
„Hat Antonio Ihnen eigentlich von der Frau erzählt, die er letztes Jahr in Cannes geschwängert hat? Sie hat ihn abblitzen lassen, da hat er sich geschworen, es ihr heimzuzahlen. Er hat ihr was in den Drink getan, und dann hat er’s ihr besorgt. Wissen Sie davon?“
Falcon, der sich bereits angewidert abgewandt hatte, drehte sich noch einmal um, um dieses wenig erfreuliche Exemplar der männlichen Gattung genauer zu studieren.
„Ja, ganz dunkel erinnere ich mich“, log er. „Aber vielleicht können Sie meinem Gedächtnis ja etwas auf die Sprünge helfen.“
Das ließ sich der Betrunkene nicht zweimal sagen.
„Wir haben sie in Nikki Beach getroffen. Sie hat längst nicht so viel Spaß gehabt wie die anderen Mädels, obwohl sie zu ’ner Filmcrew gehört hat. Sie kam immer so superkorrekt gekleidet an, irgendwie gouvernantenhaft, in Rock und Bluse. Antonio hat ihr zum Spaß Champagner über die Bluse gespritzt, nur damit sie endlich mal was zu lachen hat, aber sie fand das überhaupt nicht lustig. Na, und da war er eben sauer, richtig sauer. Die hat ja getan, als ob sie was ganz Besonderes wäre. Schön, und dann hat er ihr eben mal gezeigt, wo’s langgeht. Er fand ihre Zimmernummer raus und hat einen Kellner bestochen, damit der ihr was in den Drink tut. Das hat sie so voll umgehauen, dass wir sie zu dritt auf ihr Zimmer schaffen mussten. Natürlich hat Antonio uns zum Stillschweigen verdonnert, war aber eh klar, dass wir nichts sagen. Jetzt, wo er tot ist, gilt das natürlich nicht mehr, außerdem sind Sie ja sein Bruder.“ Der Kerl grinste verschwörerisch. „Hinterher hat Tonio uns erzählt, dass sie bestimmt noch Jungfrau war.“
Es dauerte eine Weile, bis Falcons eisiges Schweigen den Alkoholnebel im Kopf seines Gegenübers durchdrang. Erst dann begann dem Kerl wohl das zutiefst Empörende an seiner Geschichte zu dämmern, weil er sich beeilte, Falcon mit dümmlichem Grinsen zu versichern: „Aber am Ende hat Tonio doch noch Scherereien bekommen. Zumindest hat er erzählt, dass der Bruder der Braut bei ihm aufgetaucht ist und behauptet hat, Tonio hätte seiner Schwester ein Kind angehängt.“
Falcon hüllte sich immer noch in Schweigen. Obwohl er nicht viel Fantasie brauchte, um sich in dem grausamen Spiel, das sein Gegenüber geschildert hatte, Antonios Rolle ausmalen zu können. Es war typisch für Antonio und zeigte nur ein weiteres Mal, warum Falcon und seine beiden jüngeren Brüder ihrem Halbbruder so wenig Sympathie entgegengebracht hatten.
„Wie war ihr Name? Können Sie sich daran erinnern?“, fragte er den Betrunkenen jetzt.
Sein Gegenüber wackelte unkontrolliert mit dem Kopf und überlegte eine Weile angestrengt, bevor er sagte: „Ich weiß nicht mehr … irgend so was wie Anna oder Annie, vielleicht. Auf jeden Fall war sie Engländerin.“
Dann schüttelte sich der Betrunkene und ging leicht torkelnd davon, fast als ob Falcons kalte Verachtung ihm einen eisigen Schauer über den Rücken gejagt hätte. Zweifellos auf der Suche nach einem neuen Drink, dachte Falcon, während er zum Tisch schaute, wo sein Vater mit seinen beiden Brüdern und deren Ehefrauen saß.
Der alte Prinz hatte sein einziges Kind aus zweiter Ehe – einen Sohn – angebetet, manipuliert und sträflich verwöhnt. Nach dem Tod seiner ersten Frau – Falcons Mutter –, die ihm drei Söhne geboren hatte, hatte ihr Vater seine langjährige Geliebte – Antonios Mutter – geheiratet, die mittlerweile ebenfalls nicht mehr unter den Lebenden weilte.
Nach Antonios Tod hatte ihr Vater von seinen Söhnen aus erster Ehe verlangt, das Kind zu suchen, das ihr im Sterben liegender Halbbruder erwähnt hatte.
Bisher war Falcon mit seinen Bemühungen nicht weitergekommen, obwohl er alles in seiner Macht Stehende unternommen hatte, um Licht ins Dunkel zu bringen. Jetzt allerdings stellte sich die Situation gänzlich anders und ganz und gar schockierend dar. Dabei blieb nur noch die Frage, wann er seinen Brüdern von der Frau erzählen
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