Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
Vaters, kam nicht mehr und besuchte meine Mutter. Auch Linda nicht, Jims Frau. Niemand kam mehr. Als ich fünf war, sind sie nach Kalifornien gezogen. Meine Mutter sagte, Jim hätte dort früher einmal gelebt und als Arzt gearbeitet. Mein Vater hat dort auch einmal gelebt und ein Restaurant gehabt.
Ich wollte auch gerne einmal nach Kalifornien und sehen, wo mein Vater gelebt hat. Aber meine Mutter wollte es nicht. Sie sagte, man solle bestimmte Dinge nicht wiederholen.
Tja, meine Mutter, Sarah Gelton. Es war schon komisch mit ihr. Irgendwie hat sie mich nie in den Arm genommen oder mir einen Kuss gegeben. Vielleicht hat sie mich nicht geliebt. Geliebt hatte mich nur mein Vater. Doch der lebt nicht mehr. Ich frage mich, wer mich überhaupt liebte und wollte. Da fällt mir jetzt nur Großvater Ben ein, aber der kam nur zweimal im Jahr zu uns. Zu meinem Geburtstag und zu dem meiner Mutter. Dann kam er aber auch den ganzen Tag. Ich glaube, dass es meiner Mutter so ganz recht war.
Heute überlege ich, ob sie überhaupt wollte, dass ich mit jemandem zusammen war.
Bob sagte, das könnte auch mit meiner Geburt zu tun haben. Der große Schock und so. Und für Großvater Ben? Der war doch auch dabei gewesen und hatte keinen Schock. Warum hatte der mich dann so lieb? Er sagte einmal, dass er meinen Vater auch sehr gerne gehabt habe. Er liebte auch seine Tochter. Nur seine Frau, Großmutter Elli, nicht. Da hörte der Spaß für ihn auf.
Mit sechs Jahre erfuhr ich warum. Da lernte ich sie nämlich zum ersten Mal kennen. Sie ist ein Kaktus, den man vertrocknen lassen sollte!
Meine Mutter nahm mich mit nach Golden bei Denver, wo meine Großmutter lebt. Es war Herbst, und der Wind pfiff während der ganzen Fahrt um unser Auto. Meine Mutter war nicht glücklich. Sie sagte, dass es aber sein müsste. Schließlich wäre sie meine Großmutter.
Heute frage ich mich, wofür man eine Großmutter braucht.
Unsere erste Begegnung war grausam. Sie grinste ganz komisch und rief von weitem: „Da ist ja unser Chrisiiii!“
In diesem Moment knallte die Haustüre im Sturm zu. Mein Hirn rastete aus. Ich schrie laut und rannte auf sie zu, um sie so richtig zu prügeln.
Meine Traumata waren also alle noch da!
Dass nach diesem ersten Treffen niemals etwas aus uns werden konnte, lag doch auf der Hand. Die ganze Familie von meiner Mutter war komisch zu mir.
Auf der Heimfahrt fragte ich meine Mutter: „Habe ich noch mehr Familie oder war das alles?“
„Das war alles“, sagte sie kurz, und ich war sehr traurig.
Mein Zimmer war voll mit selbstgemalten Bildern von mir. Ich war stolz. Zu Hause durfte ich nämlich mit schwarz malen. Ich malte ganz viele Gesichter. Meine ganze Familie.
Bob sagte, die Gesichter würden alle schreien. Schwarze Gesichter mit blutenden Mundhöhlen. Also, mir gefielen sie richtig gut.
Das könnte noch ein Trauma von meiner Geburt sein. Es haben viele Menschen dort geschrien, erklärte mir Bob.
Also, ich weiß nicht. Kann man bei einer Geburt schon so viel hören und sehen? Ich kann mich daran wirklich nicht erinnern. Würde ich jetzt Karten spielen, würde ich sagen: Ich passe. Ha, ha. Kleiner Witz!
Ich musste nie wieder nach Golden zu Großmutter Elli. Jetzt wusste ich, warum Großvater Ben nicht mit ihr zusammenleben wollte. Wer will schon mit einem Kaktus leben?
Es ist gut, wenn man als Kind schon so viel begreift. Das nimmt die Traurigkeit.
Ich konnte mit sechs Jahren schon viele Worte und Zahlen schreiben und kam in die Vorschule. Das gefiel den Lehrern gar nicht, denn meine Wörter ergaben kleine Horrorgeschichten von blutenden Daumen und riesigen Blutlachen. Manchmal fraß auch ein grünes Dach alle Kinder auf. Schwarze Dächer benutzte ich besser nicht. Man kann ja nie wissen und lernt dazu.
Meine Mutter wurde einmal in die Schule eingeladen, zu einer Besprechung. Da sprechen Lehrer mit Müttern. Die Lehrer fragten, ob ich viel fernsehen würde, wegen meiner Bilder. Was die sich so alles zusammenreimen! Wir hatten zwar so ein Fernseh-Ding, aber es war fast immer aus. Meine Mutter war vormittags in einem Blumengeschäft und nachmittags arbeitete sie im Gemüsegarten oder ging mit mir einkaufen. Wir lebten sehr leise miteinander und sprachen sehr wenig. Während sie im Garten arbeitete, schaukelte oder spielte ich draußen. Alleine.
Einmal baute sie einen Drachen mit mir. Das war wirklich schön. Wir gingen aufs Feld und ließen ihn in die Luft steigen. Er kam wieder runter und zerbrach. Danach hat meine Mutter nie
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