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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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11 von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Auf 43 Arbeitsstunden kommen die Vollzeitbeschäftigten in der Woche, von der 40-Stunden-Woche, die sich 90 Prozent aller Erwerbstätigen als Maximum vorstellen, sind wir also weit entfernt.
    In der Werbekampagne, die das Arbeitsministerium derzeit fährt, um die Unternehmen zur Anstellung von Frauen zu bewegen, werden die Ergebnisse des eigenen Stressreports jedoch gleich wieder ignoriert: »1,9 Millionen erwerbstätige Frauen möchten ihre wöchentliche Arbeitszeit erhöhen«, heißt es da, und »34 Prozent der teilzeitbeschäftigten Mütter würden gerne länger arbeiten.« Man könnte glauben, dass sich Deutschlands Frauen um längere Arbeitszeiten und Mehrarbeit geradezu raufen. Was die Anzeige verschweigt, ist, dass sich 27 Prozent eine Arbeitszeit zwischen 30 und 35 Stunden wünschen, aber nur 9 Prozent faktisch dieses Stundenkontingent arbeiten, 16 Prozent bevorzugen eine Arbeitszeit zwischen 20 und 30 Stunden, doch nur 7 Prozent arbeiten im Durchschnitt diese Stundenzahl in der Woche. Die Frauen – wie übrigens auch die Männer – wollen gar nicht so lange arbeiten, sie wollen mehr Zeit für die Familie haben, sie wollen Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren können und sie wollen weniger Stress und Arbeitsverdichtung.
    Ich kann gut nachvollziehen, dass sich viele fragen, warum sie den Steigerungswahn mitmachen sollen. Denn die Zeiten der großen Lohnzuwächse sind vorbei, zumindest für den Normalverdiener. Für die Topmanager haben sich die Einkommen in den vergangenen Jahren überproportional erhöht, heute beziehen sie das 100-Fache des Durchschnittsverdieners, vor zwanzig Jahren war es noch das 30-Fache. Auf der Ausgabenseite sieht es für den Arbeitnehmer nicht besser aus. Der Überfluss in den Supermärkten und Shoppingcentern ist längst selbstverständlich geworden. Wichtig ist aber, das der Zusatznutzen der »innovativen« neuen Konsumgüter – hier 13 verschiedene Geschmacksrichtungen für WC -Reiniger, dort der noch griffigere Winterreifen oder die vielen Warnpiepstöne im neuen Auto – marginal ist, was sich auch in den Preisen spiegelt: 1960 musste ein Arbeitnehmer für einen Kleiderschrank 170 Stunden arbeiten, 1991 waren es dann nur noch 35 Stunden, heute ist es genauso lang. »Besser« geworden ist der Schrank nicht.
    Die Kaufkraftgewinne fallen spätestens seit den 1990er Jahren nur noch schwach aus. Sie sind zudem durch mehr Stress und Zeitverdichtung teuer erkauft. In den Büros stehen alle unter wachsender Zeitknappheit. Produktionsprozesse werden just in time über den Globus getaktet. Börsen handeln rund um die Uhr sieben Tage pro Woche. Nachrichtenportale aktualisieren sich alle 15 Minuten. Die Zeit, die wir mit Schlaf verbringen, nimmt ab.
    Wenn wir ein gutes Leben führen wollen, müssten sich doch wenigstens die Arbeitsverdichtung und der erhöhte Stress lohnen? Aber von all den Effizienzgewinnen, Produktivitätsfortschritten und Anpassungsleistungen bleibt beim Normalbürger wenig hängen. »Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch mir gut« – diese Frage bejahten 1979 noch über 70 Prozent der Deutschen. Heute sind es nur 17 Prozent. In diesen Zahlen spiegelt sich der ganze Tretmühlenfrust wider. Für die Masse der Erwerbstätigen bringt die Beschleunigung des Hamsterrads nichts. Zumal Beschleunigung und Globalisierung auch die Arbeitsverhältnisse beeinflussen: Den klassischen Stammbelegschaften geht es gut, aber die wachsende Zahl der flexiblen Arbeitskräfte, die bei Bedarf eingestellt und wieder entlassen werden, leidet unter sinkenden Reallöhnen und schlechten Arbeitsbedingungen. Im Einzelhandel, in der Gastronomie und bei Pflegeberufen ist das Zeitarbeitsverhältnis beinahe die Norm.
    Es gibt immer mehr Lebensbereiche, sagt Hartmut Rosa, »die uns vorkommen wie Rolltreppen, die nach unten fahren«. Selbst wenn wir nur auf derselben Höhe bleiben wollen, müssen wir die Treppe hochlaufen, um oben zu bleiben. Wir sind eine Gesellschaft der ständigen Updates, ob es unser berufliches Wissen betrifft oder die Software des PCs , die Telefontarife, die Steuergesetze, die Modetrends oder was sonst noch irgendwie angesagt ist. Ohne Update ist man schnell draußen aus dem System. Gab es je eine Zeit, die mehr technische Hilfsmittel kannte, um ein gutes Leben in Balance zu führen? Doch als ob um alles in der Welt verhindert werden müsste, dass wir gut leben, wird das Rennen weiter beschleunigt, damit wir

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