Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Warum sind wir so unglücklich?
Die ersten Zweifel, ob ich einen wirklich sinnvollen Job mache, überkamen mich auf der Heimfahrt von einer Veranstaltung. Es war spät am Abend, das Wetter trist. Vielleicht kein idealer Moment für eine Sinnkrise. Ich hatte als Vertreter der deutschen Industrie auf einer Podiumsdiskussion unser Wirtschaftssystem verteidigt. Meine Argumente waren gut gewesen, fand ich. Aber so richtig überzeugt hatte ich dennoch niemanden. Das frustrierte mich, zumal ich Geschäftsführer der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM) war, eines Think Tanks, der seine Aufgabe, die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft, schon im Namen trug. Die Soziale Marktwirtschaft ist für mich eine Erfolgsgeschichte ohne Wenn und Aber: Unser Wohlstand hat sich seit den 1950er Jahren versechsfacht, das Sozialbudget liegt jedes Jahr bei 760 Milliarden Euro. Drei Viertel der Weltbevölkerung wären froh, wenn sie unsere Probleme hätten und sich den teuren Aufbau von Windparks und Gezeitenkraftwerken leisten könnten.
Die Diskussion war typisch für diese Systemdebatten verlaufen: Die jungen Studenten, die wie ich von der Entwicklungshilfeorganisation GTZ eingeladen worden waren, um über »den Export der Sozialen Marktwirtschaft« zu diskutieren, behaupteten nicht, dass es irgendwo auf der Welt grundsätzlich besser wäre. Aber sie äußerten auch keine Sympathien. Im Gegenteil: Sie beklagten die Gier der Manager, den angeblichen Sozialabbau, das Gift in der Nahrung, die Folgen des Klimawandels. Zu exportieren gibt es da offenbar nichts. Ich konnte es nicht mehr hören.
Es war die Anspruchshaltung der Studenten, die mich zunehmend nervte. Sie hatten viele Forderungen an die anderen, an den Staat, die Wirtschaft, den Währungsfonds. An die eigene Adresse richteten sie komischerweise keine. Eine Studentin meinte, ich solle nur nicht so stolz sein auf unsere Warenvielfalt. Denn die gebe es nur, weil die Wünsche der Konsumenten erst mit viel Werbung von den Unternehmen erzeugt würden. Aus ihrer Handtasche schaute ein weißes iPod-Kabel heraus. War sie den Marketing-Manipulationen von Apple erlegen? Nicht alle Studenten in meiner Gesprächsrunde waren so negativ. Einige, die schwiegen, hielt ich für heimliche Verbündete. Aber es war schon ernüchternd: Da saßen junge Leute vor mir, besser gebildet, besser finanziell ausgestattet und gut zehn Zentimeter größer als ihre Elterngeneration, mit unbegrenzten Möglichkeiten der Berufswahl, der Selbstverwirklichung und der Freizeitgestaltung, und doch waren sie sichtbar unzufrieden. Zwar stellte keiner das System infrage. Aber sollte man nicht trotzdem erwarten können, dass Menschen, denen die Welt offensteht und die Fächer studieren, die ihnen Chancen eröffnen, sich in ihrer Umwelt einigermaßen wohlfühlen?
Eine derart fruchtlose Diskussion passierte mir nicht zum ersten Mal. Diesmal waren es Studenten, davor waren es Betriebsräte, Berufsschüler und andere Gruppen. Gut in Erinnerung sind mir noch ein ostdeutscher Lehrerverband und die Insassen eines Westberliner Seniorenheims, weil sie beide unabhängig voneinander die staatliche Festsetzung des Benzinpreises forderten, der gerade über 1 Euro 50 geklettert war. Der Grundton vieler derartiger Diskussionen landauf, landab ist sehr oft negativ, getragen von einer angstvollen Niedergangsklage.
Während meiner nächtlichen Heimfahrt von der GTZ -Veranstaltung erkannte ich, dass ich mehr als nur ein gewöhnliches Unbehagen an uneinsichtigen Mitdiskutanten empfand. Ich steckte in einer echten Sinnkrise. Meine Sinnkrise hatte, das wusste ich seit geraumer Zeit, sogar einen wissenschaftlichen Namen: »Easterlin-Paradoxon«. Richard Easterlin ist kein Psychiater, sondern ein amerikanischer Ökonom, der bereits 1974 festgestellt hatte, dass das Pro-Kopf-Einkommen zwar seit den 50er Jahren stark gestiegen war, die Amerikaner seither jedoch mit ihrem Leben nicht zufriedener geworden waren. Easterlins Befund: Mehr Wohlstand macht die Menschen nur unbedeutend glücklicher.
Damit erschütterte er die traditionelle Ökonomie. Die ging davon aus, dass die Menschen rational entscheiden, was ihnen mehr bringt. Sie wählen einen bestimmten Beruf oder ein Auto oder einen Wohnort, weil sie sich davon ein besseres Leben erwarten. Sonst würden sie es nicht tun oder eine andere Wahl treffen. Steigt der Wohlstand, dann können sich die Menschen mehr Güter leisten und sie haben auch mehr Wahlmöglichkeiten, von denen sie
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