Vier auf dem Laufsteg
dann immer in Gedanken zählte: »Ein Elefant, zwei Elefanten, drei Elefanten...«, damit das Timing exakt stimmte.
Schließlich reckte sie sich zu ihrer vollen Höhe von einem Meter siebenundsiebzig und warf die platinblonden Locken zurück, die ihr eineinhalb Millionen Pfund jährlich für Shampoowerbung einbrachten. Dann zog sie das Foto hinter ihrem Rücken hervor.
Laura betrachtete es blinzelnd. Eine herrlich entsetzliche Sekunde lang dachte sie, es zeige Nemi.
Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. War es Nemi? Es sah nicht aus wie Nemi. Es sah aus wie sie bei diesem letzten total bescheuerten Shooting, als sie sich als Meerestiere verkleiden sollten. Laura war ein Delfin gewesen. Das Kostüm aus grauer Seide war alles andere als vorteilhaft gewesen und dann noch -
»Herzlichen Glückwunsch, Laura, du bist das Supermodel 2008 !«, sagte Daisy gerade, aber ihre Worte wurden von Nemis geräuschvollem Tränenausbruch übertönt.
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W enn Laura darüber nachdachte, dann war der Augenblick, in dem sie im Trafford-Einkaufszentrum von einem Scout für die Supermodel -Sendung entdeckt worden war, unvermeidlich gewesen. Und auch all die Augenblicke danach. Ohne die wäre sie jetzt nicht hier: eingeklemmt zwischen der Hälfte ihrer weltlichen Besitztümer auf dem Rücksitz im Ford ihres Vaters, der gerade vor einem Reihenhaus in Camden im Norden Londons hielt.
Denn ganz im Geheimen hatte Laura schon immer Model werden wollen. Sie hatte das für sich behalten, denn sobald man verkündete, dass man ernsthaft an eine Modelkarriere dachte, konnte man sich genauso gut ein T-Shirt mit der Aufschrift »Ich finde mich wahnsinnig schön« bedrucken lassen.
Deshalb war es nur einer dieser kleinen Tagträume geblieben, mit denen sie sich in besonders langweiligen Schulstunden die Zeit vertrieb und an die sie mit einem Lächeln dachte, wenn die Lehrer irgendwelche Bewerbungsformulare für eine Ausbildung oder die zukünftige Berufswahl austeilten. Na gut, sie hatte sich vielleicht nachmittagelang in Boutiquen rumgedrückt in der Hoffnung, dass sie von einem Modelscout entdeckt würde, aber sie hatte zum Beispiel niemals ihren Vater gebeten, sie im Bikini zu fotografieren, und dann das Foto an eine Modelagentur geschickt. Das wäre doch zu demütigend gewesen.
Laura strich den Brief von Fierce glatt, obwohl sie den Inhalt bereits auswendig kannte.
Liebe Laura,
herzlich willkommen bei Fierce. Wir wünschen dir einen guten Start in deine aufregende Karriere als eins unserer neuen Models.
Es wird dich freuen, dass wir dich in einer unserer Modelwohnungen untergebracht haben. Du wohnst dort mit drei anderen Mädchen, die alle ebenfalls neu in London sind, deshalb könnt ihr euch gegenseitig beim Einleben helfen.
Dein neues Zuhause ist das Apartment 3, Bayham Street 47 in Camden, London NW 1. Beiliegend sind deine Schlüssel und eine Inventarliste. Bitte überprüfe und unterschreibe sie und gib sie deinem Agenten, wenn du am Dienstagmorgen um 10.00 Uhr in die Agentur kommst.
Die Monatsmiete beträgt 750 Pfund, die wir von deinen Einkünften abziehen.
Laut unserem Vertrag bist du bis zu deinem 18. Geburtstag verpflichtet, in dieser Wohnung zu wohnen. Alternative Arrangements bedürfen der Unterschrift der Eltern. Bitte denk daran, dass wir von Fierce nicht nur deine Agentur, sondern auch deine Freunde sind.
Wir freuen uns auf eine gute Freundschaft und auf eine lange, erfolgreiche Zusammenarbeit mit dir.
Mit den besten Wünschen...
Sie hatte es also doch nicht nur geträumt. Sie war ein Model. Der Brief war der Beweis.
Im Apartment 3 in der Bayham Street 47 war alles beige und weiß. Offensichtlich kamen alle Farben zum Sterben hierher. Ein flüchtiger erster Eindruck war, dass es irgendwie nicht genug Platz zum Leben gab. Von einer winzigen Diele kam man in das Wohnzimmer - großes Panoramafenster und zerknautschtes Ledersofa, das ein Furzgeräusch von sich gab, als ihr Vater sich draufsetzte -, von dort in ein winziges Bad, eine noch winzigere Küche und zu vier geschlossenen Türen, die so wirkten, als klebten »Zutritt verboten!«-Schilder an ihnen.
Falls ein winziger Zweifel an Laura nagte, betraf er die unbekannten drei Models. Aber hatten die vielleicht bei der landesweiten Modelsuche sechstausend andere Mädchen aus dem Feld geschlagen?
Definitiv nicht!
Und im Fertigwerden mit konkurrenzgeilen, eifersüchtigen Mädels war Laura Weltmeisterin. Außerdem war sie hier als Erste reingekommen
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