Täglich frische Leichen
1
» Olé !«
ertönte eine Stimme voll unverhohlener Begeisterung. »Viva, Mavis Seidlitz!«
Ich ließ meinen Rock mindestens
fünf Sekunden zu spät abwärts rutschen und sprühte Blickblitze. »Nun hören Sie
mal zu, Sie!« sagte ich kühl. »Wenn eine Dame schon Ärger mit ihren Strumpfhaltern
hat, so ist das kein Grund, auch noch...«
Und dann erkannte ich ihn, und
auf der Stelle fühlte ich wieder jene puddingweiche Schwäche in den Knien, die
bei mir so eine Art Alarmsignal ist. Gewöhnlich bedeutet es: Wenn du jetzt
nicht gehst, schaffst du’s nicht mehr. Aber diesmal war es wohl nur eine Art
Reflex.
»Du«, sagte ich matt. »Rafael
Vega!«
Er lächelte fröhlich. »Fürwahr,
ich bin’s: Rafael Vega, der >Schwarze Tod< — ganz zu deinen Diensten. Und
deine Beine, Chiquita, sind noch ebenso schön wie seinerzeit, als du in Mexiko
Urlaub gemacht hast — und dies gilt natürlich auch für dich im ganzen, wie ich
entzückt feststellen darf. Dein Haar gleicht noch immer gesponnenem Magnet,
deine blauen Augen sind voll zarter Versprechungen, leidenschaftlich deine
vollen Lippen, rank und schlank der Hals, dein...«
»Fortsetzung im nächsten
Groschenroman«, schnitt ich ihm das Wort ab. »Was suchst du überhaupt hier?
Dieses Büro dient ausnahmslos, geschäftlichen Zwecken.« Ich betonte das
»geschäftlich«.
»Mein Besuch ist auch rein
geschäftlicher Natur«, erwiderte Rafael höflich, »aber wenn die Götter mir
freundlich gesonnen sind und mir auch nur einen flüchtigen Blick auf deine
formvollendeten Beine erlauben, dann vergesse ich den Toten in meinem
Kofferraum ganz und gar.«
»Wenn du glaubst, ich falle auf
deine Sprüche herein, du... du Lustmolch von einem Südamerikaner, dann muß ich
dir sagen, daß ich als Teilhaberin der Rio Investigations keine Zeit habe, mich...« Die Stimme versagte mir, während ich auf die schwarzen
Brillengläser starrte, die seine Augen ständig verdecken. »Was meinst du mit...
dem Toten in deinem Wagen?«
Rafael lächelte freundlich,
wobei ich die Erkenntnis gewann, daß eine Bluse mit Lochstickerei keinen
ausreichenden Schutz gegen ein Mannsbild — selbst mit dunkler Brille —
darstellt. Er brauchte ja nicht einmal so zu tun, als schaue er nicht
ununterbrochen hin.
»Ich habe mir sagen lassen, daß
ihr beide, Johnny Rio und du, noch eure Privatdetektei betreibt«, sagte er.
»Aber vielleicht sollte ich wegen meines kleinen Kummers lieber mit Johnny
reden?«
»Johnny kommt vor fünf nicht
zurück.« Ich sah auf meine Uhr. »Und jetzt ist es erst Viertel zwei, und wenn
du denkst...«
»Solange kann die Leiche nicht
warten«, unterbrach er mich. »Könntest du mir nicht helfen, Chiquita? Du kennst
dich doch in Los Angeles gut aus, nicht?«
»Natürlich. Wieso?«
»Dann kannst du mir bestimmt
helfen«, erklärte er befriedigt. »Wo können wir uns ungestört unterhalten? In
aller Ruhe?«
Wäre ich klug gewesen, dann
hätte ich in diesem Augenblick laut und deutlich »Nein!« gesagt, denn
schließlich kannte ich den lieben Rafael gut genug. Zu ihm kann man als
Unschuld vom Lande ins Auto steigen — aber wenn man drei Straßenecken weit mit
ihm gefahren ist, hat man genug erlebt, um seine Memoiren zu schreiben. Doch
ich beging den Fehler, ihn anzusehen, und schon spürte ich wieder das dumme
Gefühl in den Knien.
Rafael ist groß und vielleicht
ein paar Pfunde zu schwer, aber das steht ihm ganz gut. Seine blonden Haare
sehen fast weiß aus, und man kann ihm nicht in die Augen blicken, weil er Tag
und Nacht diese schwarze Brille trägt. Sie ist gewissermaßen ein Teil seiner
Unwiderstehlichkeit. In seiner Heimat Mexiko ist er Chef der Geheimpolizei, und
man nennt ihn dort den »Schwarzen Tod«. Das kommt einmal von der dunklen Brille
und zweitens von seiner Philosophie: Er ist überzeugt, die schnellste Lösung
bei zwei verschiedenen Standpunkten ist eine Kugel.
Und wenn man erst mit ihm
ausgeht, vielleicht allein zu zweit in südlichem Mondschein... Sie können mir
glauben, daß alles, was Mama einem über Männer mit voller Unterlippe erzählt
hat, auf Rafael zutrifft, alles!
»Wir könnten uns in Johnnys
Büro setzen«, meinte ich zögernd. »Aber nur, wenn du Geschäftliches zu
besprechen hast...«
»Bedauerlicherweise ist es so;
und dringend obendrein, Mavis .«
»Okay.« Ich schritt voraus. Rafael ließ sich mir gegenüber nieder. »Seit deinem Urlaub hat sich bei
uns mancherlei geändert«, sagte er. »Wir haben einen neuen
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