Schlimmes Ende
FOLGE 1
Wellig an den Rändern
In welcher Eddie Dickens zu seinem eigenen
Besten weggeschickt wird
A ls Eddie Dickens elf Jahre alt war, bekamen seine beiden Eltern so eine abscheuliche Krankheit, von der sie gelb und an den Rändern etwas wellig wurden und nach alten Wärmflaschen rochen.
Damals gab es viele solcher Krankheiten. Vielleicht hatte das mit dem vielen dicken Nebel zu tun, mit dem knubbeligen Kopfsteinpflaster und damit, dass sich alle zu Pferde fortbewegten… sogar aufs Klo. Wer weiß?
»Es ist sehr epidemisch«, sagte sein Vater.
»Und ansteckend«, sagte seine Mutter, die an einem Eiswürfel in Gestalt eines berühmten Generals lutschte.
Sie waren im Schlafzimmer von Eddies Eltern, welches sehr dunkel und dreckig war und in dem es außer einem großen Doppelbett, einem noch größeren Kleiderschrank und zweiunddreißig verschiedenen Stühlen, die alle so gebaut waren, dass man kerzengerade auf ihnen sitzen musste, selbst
wenn man mit den Hand- an die Fußgelenke gefesselt war, keine Möbel gab.
»Warum lutschst du an einem Eiswürfel in Gestalt eines berühmten Generals?«, fragte Eddie beide Eltern, die, gegen Stapel von Kissen gelehnt, aufrecht in ihrem beeindruckend hässlichen Doppelbett saßen.
»Doktor Keks sagt, das hilft gegen die Schwellung«, sagte seine Mutter. In Wirklichkeit sagte sie, weil sie einen berühmtergeneralsförmigen Eiswürfel im Mund hatte, natürlich: »Bokbor Keeksch wagt, basch hiff gegbe bie Schwewwugg«, aber Eddie gelang es, das zu übersetzen.
»Welche Schwellung?«, fragte er höflich.
Seine Mutter zuckte die Achseln und sah plötzlich noch gelber und an den Rändern noch welliger aus.
»Und warum müssen sie berühmtergeneralsförmig sein?«, fragte Eddie. Er stellte immer viele Fragen, und immer wenn er viele Fragen stellte, sagte sein Vater: »Fragen! Fragen!«
»Fragen! Fragen!«, sagte sein Vater.
Sag ich doch.
»Aber warum wie ein berühmter General?«, wiederholte Eddie. »An der Form des Eiswürfels kann es doch nicht liegen, oder?«
»Bakammamma wehn, baschu keibme Fimme hasch«, maulte seine Mutter, und das hieß (und heißt es immer noch): »Da kann man mal sehen, dass du keinen Schimmer hast.«
Sein Vater raschelte mit dem Bettzeug. »Man stellt den guten Onkel Doktor nicht infrage«, sagte er. »Besonders nicht, wenn man ein Kind ist.« Er war ein kleiner Mann, außer wenn er im Bett saß. In dieser Stellung wirkte er überaus groß.
Dann raschelte Eddies Mutter mit dem Bettzeug. Es war
leicht, mit dem Bettzeug zu rascheln, denn es war ausschließlich aus braunen Papiertüten hergestellt, die mit diesen Extrastreifen gummierten Papiers aneinander geklebt waren, die man kriegt, wenn man auf dem Postamt mehr als eine Briefmarke kauft.
Briefmarken waren damals noch eine ziemlich neue Erfindung und alle - außer eine meiner Ururgroßtanten mütterlicherseits - fanden sie sehr aufregend.
Das Gute daran, dass es damals so wenig Briefmarken gab, war, dass noch niemand auf die Idee gekommen war, sie zu sammeln und in Alben zu kleben und einen richtig damit zu langweilen. Es gab keine Briefmarkensammler. Außerdem war es gut, dass es keine Briefmarkensammler gab, weil Lehrer sich nicht an ein wehrloses Kind anschleichen und es 1 fragen konnten, wie »Philatelist« geschrieben wird.
Jedenfalls war es selbst für damals eher ungewöhnlich, Bettzeug aus braunen Papiertüten zu besitzen. Sogar außergewöhnlich ungewöhnlich. Um Bettzeug wurde damals noch mehr Aufhebens gemacht als heutzutage.
Es gab keine polyestergefüllten Daunendecken mit separat waschbaren Bettbezügen. Aber nein. Damals gab es Unterdecken und Unterlaken und Überlaken und Mittellaken und sieben verschiedene Sorten von Überdecken. Diese rangierten von solchen, die dicker waren als eine Holzplanke (aber nicht so weich), bis zu welchen, die Löcher hatten und auch haben sollten.
Um ein Bett ordentlich machen zu können, durchlief das durchschnittliche Zimmermädchen eine sechs- bis achtwöchige
Ausbildung in einem speziellen Lager. Selbst dann bestanden nicht alle die Prüfung, und wenn eine durchgefallen war, verbrachte sie den Rest ihres arbeitsfähigen Lebens in einem Schrank unter der Treppe.
Der Schrank unter der Treppe des Dickens’schen Haushalts wurde von der Laberliese bewohnt. Sie verbrachte ihre Tage im Finstern mit verschiedenen Aufnehmern, Eimern und Besen und murmelte Sachen wie »auch in den Ecken wischen« und »der aufgeraute Teppichsaum ist der
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