Vier Tage im August
Star hatte lasern lassen, könnte er sich auch mit einer Schönheitsoperation anfreunden. Nicht nur das Herz wurde bei Bedarf ersetzt, man stellte auch die schiefe Nase gerade, nicht nur die Leber wurde getauscht, auch das schlaffe Gewebe unter dem Kinn konnte entfernt werden: wenn einen das glücklicher machte.
Paul käme zur Not auch ohne Spiegel klar. Aber nicht mit einem undichten Spülkasten und nicht mit einem tropfenden Wasserhahn. Er könnte sich niemals damit anfreunden. Duschkopf und Wasserhahn waren voller Kalk. Es tat ihm in der Seele weh. Brüchige Dichtungsringe, die Abflüsse verstopft. Ekelhaft. Es verletzte seinen Sinn für Würde. Für die Instandsetzung wären anständige Ersatzteile nötig, taugliche Werkzeuge. Und ein halber Tag. Doch es war nicht sein Job, die Schäden im abgerissenen Bad eines von seinen indischen Besitzern vernachlässigten Hotels in Genua zu beheben. Trotzdem musste er sich zurückhalten, Paul Fontana wich dringlichen Arbeiten nie aus, so war sein Charakter. Er pflegte eine romantische Idee von der Welt. Die Welt würde sich weitaus schöner präsentieren, sie würde auch hundertmal besser funktionieren, wenn man alle Gegenstände aus hochwertigen Materialien herstellte, gut behandelte, angemessen pflegte. Und reparierte, wenn sie kaputtgingen. Dieses Bad sollte total renoviert werden. Man sollte den ganzen Schrott herausreißen, alles aus Blei entfernen, die alten Wasserleitungen erneuern, alle Sanitärobjekte ersetzen, ebenso die hässlichen Kacheln und Fliesen.
Aus dem Koffer nahm er saubere Wäsche, eine bequeme Hose, gestern, nach zwei Wochen italienischer Küche, hatte ihn die Hose am Bauch gezwickt, sowie ein frisches Hemd, das hellblaue. Die Wahl bereitete ihm kein Kopfzerbrechen. Um die Schuhe anzuziehen, setzte sich Paul nicht bequem auf den Bettrand. Er wollte Iris nicht behelligen. Dabei war sie nun wach, lag da in ihrem changierenden Unterrock, mit geschlossenen Augen. Er betrachtete ihren Körper, er war begehrenswert, und auch schon, als Iris seinen Blick spürte, hatte sie die Beine ein wenig geöffnet.
Heute konnte sie ihn nicht täuschen, er wusste ja, im Gegensatz zu Iris selbst, wie ihr Gesicht aussah, wenn sie wirklich schlief. Doch sie hegte gar keine Täuschungsabsichten. Wenn sie die Augen geschlossen hielt und kein Wort über ihre Lippen wollte, hieß das nicht, dass sie abweisend war. In sich gekehrt wollte sie Paul oft auch gern in sich drin spüren; in den zwei Wochen ihrer ligurischen Reise hatten sie mehrmals, zwar nicht stumm, aber wortlos miteinander geschlafen, ein innig verschlungenes Paar. Doch heute, am Tag der verspäteten Rückreise, musste Iris früh aufstehen. Viel zu früh für ihre Begriffe; auch wenn sie es einsah und ohne zu murren gleich auch tun würde.
Paul dachte manchmal, dass sie als Ehepaar vielleicht am besten funktionierten, wenn beide schwiegen und nur im Stillen miteinander kommunizierten, im Kopf. Er nahm ihre morgendliche Unlust zu sprechen nicht persönlich. Die Ursache war nicht er, ihr Mann, nicht die Ehe mit all ihrer Mangelhaftigkeit, vielmehr ein Knick, eine Falte in ihrem Bewusstsein, die, wenn Iris aufwachte, noch verklebt war.
Zu diesem Charakterzug, zu Iris als Morgenmuffel passte es, dass sie Schildkröten aus Glas, Stein und Holz sammelte. Die Schildkröte war ihr Talisman. So einen praktischen Panzer hätte Iris manchmal auch gern. Den Kopf einziehen, Arme und Beine einfahren, platt im Sand liegen, von der Welt abgerückt, der Welt nur den schönen Rücken zugewandt.
NACH EINEM FRÜHSTÜCK, das schnell abgehakt war, es bestand nebst einem Kaffee mit zu viel Zucker und Sahne aus salzlosen, weißen Brötchen und je einer Portion Butter und Orangenmarmelade in der Aufreißpackung, verschwand Iris nochmals im Bad.
Sie konnte dort ewig verweilen.
Paul nutzte die Zeit, um die Koffer und Taschen zum Auto zu tragen. Es war so vereinbart. Früher war es ihm schwergefallen, ohnmächtig dabeizustehen und zuschauen zu müssen, wie Iris ihre Sachen in den Laderaum stopfte. Sie hatten sich dann gestritten. Die beliebige Reihenfolge hatte es unmöglich gemacht, alles unterzubringen, jedes Mal blieb ein anderes Gepäckstück, für das sie keinen Platz mehr fanden, neben dem Auto stehen. Das hatte sich inzwischen erledigt. Paul fügte sämtliche Koffer und Taschen, ein paar Flaschen Olivenöl und eine Kiste Wein, alles Kleine und Lose, das Sammelsurium ihrer Reise, akribisch zu einem Puzzle zusammen. Er liebte
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