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Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Blatter
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hilflose Geste. Du sollst nicht auffallen, hörte er eine weibliche Stimme leise reden. Lenk nicht unnötig Blicke auf dich. Diese Forderung, obwohl berechtigt, war für einen Mann mit seiner Visage und Figur nicht ganz leicht zu erfüllen.
    Jetzt stand er da wie ein ausgestopfter Bär.
    Du hast immer zwei Möglichkeiten, erklärte die Stimme.
    Noch könntest du dich verkrümeln.
    Leo machte eine wegwerfende Handbewegung.
    Er betrachtete die Unfallstelle. Bevor Paul dazugekommen war, hatte sein Interesse vor allem dem Fahrer des verunglückten Lastwagens gegolten, der teilnahmslos auf dem Trittbrett der Fahrerkabine hockte. Sein pausbäckiges Milchgesicht sowie das straff nach hinten gekämmte, zu einem kurzen Zopf geflochtene Haar erinnerten Leo Zimny an Buddha. Und an sein Wort, es gibt immer einen Weg, es hängt alles von dir ab. Scheiße. Die Achse war gebrochen, vorne links. Was konnte der Fahrer dafür? Materialermüdung. Leo klaubte nervös Gummibärchen aus der Packung. Mit viel Aufwand wurde das Durcheinander der Unfallstelle in eine Ordnung überführt. Es war das reale Leben, nicht ein Video. Wäre es ein Computerspiel, klickte Leo diesen Paul Fontana nun einfach weg.
    Verpiss dich.
    Paul bemerkte von alldem nichts. Ganz im Bann des Unglücks fotografierte er mit seiner kleinen Kamera. Dazwischen schaute er zum Himmel hoch. Mit Geknatter setzte ein Hubschrauber zur Landung an. Der Rotor trieb den von Autofahrern aus dem Fenster geworfenen Abfall über die Straße. Der Müll ähnelte einer Wanderdüne. Sie brach an der grünen Böschung und häufte buntes Strandgut auf. Die Deckel der Plastikflaschen waren farbige Knöpfe in diesem langen Saum.
    Zwei Beamte führten den Fahrer des Personenwagens weg, der von hinten in die Radrennfahrer hineingerauscht war. Er trug Bermudashorts mit einem Karomuster und war barfuß. Die Beamten hatten ihn in die Mitte genommen und hielten seine Ellenbogen fest, als müsste er gestützt werden. Sein Auto stand mit eingeschalteten Scheinwerfern in einer weißen Lache. Eine Polizistin sperrte die Unfallstelle mit Plastikband ab und bereitete alles Erforderliche vor, damit die stehende Kolonne möglichst bald am sensiblen Bereich vorbeigeschleust und aufgelöst werden konnte.
    Paul kehrte zu Iris zurück, stieg in den Fiat ein, erzählte aufgeregt, was er gesehen und aufgeschnappt hatte, und drehte dabei an den Knöpfen des Autoradios. Er suchte einen Sender, eine verlässliche Stimme, die das, was er selbst erlebt hatte, öffentlich bezeugte, als traute er den eigenen Augen nicht ganz.
    Das Warten zog sich hin.

ALS DER VERKEHR WIEDER ROLLTE und Iris und Paul die Heimreise endlich fortsetzen konnten, war die Berichterstattung im Radio längst abgeschlossen: Ein Toter, fünf Schwerverletzte, mehr als zehn Tonnen ausgelaufene Milch, erheblicher Sachschaden.
    Paul schaltete das Radio aus, die muntere Musik störte ihn. Die Informationen hatten zwar die Neugier gestillt, aber sie erklärten nichts. Katastrophale Nachrichten erreichen einen täglich, man steckt sie weg und geht zu anderen Themen über, zu den eigenen Sorgen. Diesmal waren Iris und Paul nah am Unglück vorbeigeschrammt.
    Sie benötigten jetzt einen Kaffee, einen doppelten Espresso, um die Geschichte sacken zu lassen. Obwohl ihnen nichts zugestoßen war, stellten sie fest, dass tief in ihrem Innern etwas aufgestört, ja aufgewirbelt worden war, das sich noch nicht wieder hatte ablagern können. Sie unterbrachen die Fahrt, stiegen aus, parkten, merkten sich nicht einmal den Namen des Dorfes, ein paar Häuser, eine nüchterne Bar, traurige Bäume und ein über die Straße gespanntes Spruchband. Hier waren die unglücklichen Radrennfahrer erwartet worden.
    Iris lehnte sich gegen den steinernen Stehtisch, schüttete sündhaft viel Zucker in den Kaffee. Sie hatte immer noch weiche Knie. Auch Pauls Kräfte waren noch nicht vollständig zurückgekehrt. Er stützte sich auf dem stabilen Tisch ab. Ihr Gespräch bewegte sich im Kreis, sie beteuerten einander zwanghaft immer wieder das Gleiche: Dass sie dankbar sein sollten, nicht mit tiefgreifenden Konsequenzen in den Unfall verwickelt worden zu sein.
    Eine knappe Stunde folgten sie nun schon der kurvenreichen Überlandstraße. Die Sonne schien, Bussarde kreisten über der Fahrbahn. Paul hatte das Fenster geöffnet, den Ellenbogen in den Fahrtwind gestellt. Iris kam gut voran, aber die Richtung stimmte nicht mehr. Sie spürte es. Sie musste eine Abzweigung verpasst haben, und

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