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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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es bei keinem anderen Offizier erlebte. Niemals hatte ich das Gefühl, dass er einfach nur dastand, sondern dass er in seiner aufrechten Haltung, mit den auf dem Rücken verschränkten Armen, immer große Gedanken in seinem Kopf hin und her bewegte. Es war eine Feldherrenpose.
    Die meiste Ehrfurcht hatten wir aber davor, dass er uns immer seine Meinung ins Gesicht sagte. Selbst vor der angetretenen Kompanie sprach er frei von der Leber weg. Er legte Wert darauf, uns zu informieren, uns nicht im Unklaren zu lassen. Durch nichts konnten wir als Kompanie mehr beeindruckt werden als durch diesen Mann. Er überblickte die Dinge wie kaum einer sonst. Sogar beim Sport konnte er uns allen davonlaufen, war überhaupt immer vorne zu finden. Für ihn schien es das Absurdeste zu sein, sich selbst als mittelmäßig wahrzunehmen. Er hatte immer das Streben, erstklassig zu sein. Diesen Gedanken verankerte er durch seine Art, uns zu führen und Präsenz zu zeigen, in unseren Herzen. Wir fühlten uns wie etwas Besonderes. Wie eine Kompanie, die dazu geschaffen war, Besonderes zu leisten. Dieser Gedanke setzte sich über die Feldwebel bis in die Köpfe der einfachen Soldaten fort. Daraus entstand eine unglaubliche Kraft. Eine Kraft, der wir uns alle fügten, eine Kraft, die uns eine Stärke verlieh, von der wir vorher nichts wussten.
    Natürlich entstanden aus dieser Haltung auch Probleme: Einerseits ein arrogantes Elitedenken, das die Leistung der anderen Armeeangehörigen ausblendete. Und andererseits ein übergroßes Selbstvertrauen und ein Gefühl der Unverwundbarkeit. Kaum einer gab es offen zu, aber wir fühlten uns bereits wie Kriegshelden. Dabei saßen wir noch nicht einmal im Flugzeug in Richtung Osten.
    Auch Muli ließ keinen Zweifel daran, dass er es mit uns ernst meinte. Dass er uns ausgewählt hatte, weil er mit uns, und nur mit uns, diesen Einsatz durchziehen wollte. Ein Einsatz, über dessen Qualität die meisten nichts wussten. Von dem wir nur eine vage Vorstellung hatten. Eines schärfte uns Muli immer wieder, bei jedem Training, jede Woche und jeden Tag ein: Wir, seine Gruppe, mit ihm als Gruppenführer, mussten uns darüber im Klaren sein, dass er von uns mehr erwartete als von anderen. Wir würden früher aufstehen und später ins Bett gehen als alle Übrigen. Weiter laufen und mehr tragen. Er würde ein Team führen, das sich immer als Erstes freiwillig meldete. Für uns würde es hart werden.
    Wir fühlten uns geschmeichelt, er traute uns das also zu. Wie sehr sich diese Forderung, diese einfach gesprochenen Worte, als wahr herausstellen sollten, konnte keiner von uns, nicht einmal Muli selbst, zu diesem Zeitpunkt ahnen.
    Wenige Monate vor Einsatzbeginn wurde jedem Einzelnen in der Gruppe seine feste Aufgabe im Team zugewiesen. Es gab den Fahrer. Es gab einen, der das schwere Maschinengewehr tragen und abfeuern musste und einen Zweiten, um die Munition des Maschinengewehrschützen zu tragen. Außerdem einen Funker, einen Medic für die Erstversorgung der Verwundeten, einen für die Panzerfaust, einen für das leichte Maschinengewehr und für die meisten Positionen noch einen Ersatzmann, der so trainierte, dass er die Rolle des Ersten mit übernehmen konnte. Schließlich war es jederzeit möglich, dass es zum Ausfall eines Kameraden kam. Ausfall eines Kameraden. Es war leicht, diese schwerwiegenden Worte leichtfertig auszusprechen. Es bedeutete, dass einer von uns fiel. Im Kampf getötet wurde. Es konnte jederzeit dazu kommen, und es konnte jeden von uns treffen.
    Die Positionen in der Gruppe waren unterschiedlich beliebt. Letztendlich entschied Muli anhand der besonderen Fähigkeiten jedes Einzelnen. Nicht jeder schoss mit jeder Waffe gleich gut, nicht jeder konnte ein Fahrzeug unter Stress sicher fahren. Und dazu kam, was jedem von uns im Kopf spukte, aber keiner in Worte fassen konnte: das Ganze im Gefecht anzuwenden.
    Die Position des G3-Schützen war in der Gruppe besonders beliebt. Der Schütze dieser Waffe mit Zielfernrohr sollte eine deutlich bessere Schießausbildung erhalten und so das Bindeglied zu den Scharfschützen bilden. Weil die meisten anderen auf einem Lehrgang waren, als die Ausbildung beginnen sollte, wurden Kruschka und ich dafür eingeteilt.
    Kruschka war gelernter Koch und türkischer Abstammung. Klein und ein wenig introvertiert, war er jemand, den man erst kitzeln musste, um ihn aus der Reserve zu locken. Aber ein verdammt guter Freund, der einem immer treu zur Seite stand. Er war erst

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