Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen
lehren, persönliche Dialoge mit Kindern und Jugendlichen zu führen.
Ein Dialog ist etwas ganz anderes als eine Verhandlung, eine Diskussion oder ein einfacher Wortwechsel. Ein Dialog verlangt vom Erwachsenen Offenheit, Interesse, Flexibilität und den Willen, etwas Neues über sich selbst und sein Kind zu lernen, und das kann nicht gelingen, wenn die Erwachsenen eine bestimmte Tagesordnung oder Ziele im Kopf haben, die über den jeweiligen Dialog und die eigene Gegenwärtigkeit hinausgehen.
Das Führen eines Dialogs ist ein notwendiger Schritt in unserer persönlichen Entwicklung und eine Kompetenz, die sowohl Pädagogen, Lehrer und Eltern als auch andere Erwachsene so schnell wie möglich erwerben sollten, wenn sie nicht noch mehr Kinder und Jugendliche im Stich lassen wollen.
Ob ich der Meinung bin, dass Sie Ihren ältesten Sohn im Stich lassen? Ja, das meine ich tatsächlich.
Lassen Sie uns die Tatsachen betrachten, die Sie selbst beschreiben:
Er kommt außerhalb seiner Familie bestens klar, aber nicht in Ihrer Gegenwart. Das bedeutet, dass die Führungsrolle der Erwachsenen, die er in der Schule oder im Fußballverein erlebt, ihn nicht so sehr frustriert wie die Führungsrolle seiner Eltern. Die entscheidenden Worte sind Ihre wiederholten Behauptungen, dass er nicht in der Lage sei, mit Zorn, Frustration und Enttäuschungen umzugehen. In Wahrheit kann er mit all diesen Gefühlen und Erlebnissen umgehen, doch auf eine Art und Weise, die seinen Eltern nicht passt.
Das heißt nicht, dass ich sein Verhalten als zweckmäßig oder konstruktiv betrachte. Es ist jedoch das einzige Verhalten, das er kennt, und dies wird sich auch nicht ändern, sondern im Gegenteil verstärken, wenn Sie nicht damit beginnen, sich ernsthaft dafür zu interessieren, was es ist, das ihn so zornig macht und frustriert. Es sind nicht die vielen kleinen Episoden und Konflikte. Tief in sich trägt er eine weitaus ernsthaftere Frustration, die unentwegt Brennstoff für die vielen kleinen liefert.
»Er sieht seine eigenen Fehler nicht« – weil er keine hat! Wir sind uns vollkommen einig darin, dass er sich in einer Reihe von Situationen absolut unangemessen verhält, was jedoch nicht daran liegt, dass er irgendwelche Fehler hätte oder mit ihm selbst etwas nicht in Ordnung wäre. Es liegt daran, dass seine eigenen Reaktionen einem sehr viel tiefer gelegenen Ort entspringen als dem, wo das »gute Benehmen« normalerweise beheimatet ist, nämlich dicht an der Oberfläche. So ist es mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Niemand von uns behagt die Rolle in der Gemeinschaft, die ihm zugewiesen wurde – die des schwarzen Schafs.
»Er hat Schwierigkeiten, sich nachher zu entschuldigen«, weil er weiß, dass er nicht die alleinige Schuld an diesen Episoden trägt. Die Erwachsenen sind dafür verantwortlich, dass sich alles so unglücklich entwickelt hat, wie es der Fall ist. Sie haben selbst bemerkt, dass er sein Verhalten geändert hat, als seine Geschwister auf die Welt kamen, und Ihre Theorie ist, dass er von Eifersucht gepackt wurde, einem Gefühl, das wir in unserer Kultur nicht unmittelbar verurteilen, schon gar nicht bei Kindern. Ich glaube, Ihre Theorie ist falsch. Richtige Eifersucht finden wir nur bei Kindern, die erleben, dass ihre Eltern ein Kind mehr lieben als das andere. Aber das kommt nur selten vor, und bestimmt nicht in Ihrer Familie.
So wie alle anderen großen Brüder und Schwestern hat er einen akuten Verlust erlitten, als seine Schwester geboren wurde.
Von einem Moment auf den anderen musste er auf 50 Prozent all dessen verzichten, was ihm bisher in seinem Leben zur Verfügung gestanden hatte. Er bekam auch keine Hilfe bei der Bearbeitung seiner Trauer, sodass er weder Freude empfinden noch Liebe zu dem neuen Familienmitglied entwickeln konnte.
Stattdessen erstarrte seine Lebenswelt in dem Erlebnis, im Stich gelassen worden zu sein, was zu Frustration und Wut führte. Danach versuchte er, das Gleichgewicht in einer Familie zu finden, die offenbar einen hohen moralischen Anspruch und klare Werte vertritt, wie man sich benimmt, und diese Werte konnte er nicht erfüllen.
Es ist unwahrscheinlich, dass er sich selbst an diese Gedanken und Gefühle, die ich beschrieben habe, erinnern kann, was es natürlich sehr schwierig macht, mit ihm darüber zu reden. Wenn ich damit richtigliege, bleibt nur – wie ich in der Einleitung geschrieben habe – der Dialog. Soll der gelingen, braucht es absolute Ehrlichkeit und den
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