Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen
Willen beider Eltern, die Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen. Das könnte sich beispielsweise so anhören:
»Seit deine Schwester geboren wurde, waren wir oft unzufrieden mit deinem Verhalten. Erst jetzt sehen wir, dass wir es waren, die dich damals im Stich gelassen haben. Das tut uns sehr leid. Wir wollen uns auch dafür entschuldigen, dass wir so oft mit dir geschimpft haben … wir wussten es nicht besser. Jetzt haben wir endlich begriffen, dass du es viel zu lange nicht gut bei uns hattest. Aber wir brauchen deine Hilfe. Erzähl uns doch bitte, was es ist, das dir in unserer Familie nicht gefällt, damit wir etwas daran ändern können.« (Diese Worte müssen von Herzen kommen, sonst kann man es gleich bleiben lassen!)
Vermutlich wird er sagen, dass Sie ihn »immer« ausschimpfen. Und das ist genau die Sekunde, in der Sie zeigen können, dass Sie bereit sind, Ihre elterliche Verantwortung auf eine neue Art wahrzunehmen. Hören Sie ihm zu, danken Sie ihm, wenn er fertig ist, und denken Sie darüber nach, was er gesagt hat.
Lassen Sie alles in Ruhe auf sich wirken, und Sie werden sich selbst und ihn am nächsten Tag in einem neuen Licht sehen. Danach folgt eine schwierige Phase, in der beide Seiten lernen müssen, ihre gewohnheitsmäßigen Reaktionen zu dämpfen. Aber solange die Erwachsenen die Verantwortung für ihre eigenen Aussagen übernehmen, wird es gelingen. Mit jedem Fortschritt verschwindet ein Teil des Schuldgefühls auf beiden Seiten, und mit ein wenig Glück wird sich eine neue Balance und Harmonie in der Familie einstellen, ehe die Pubertät einsetzt.
Mein Stiefsohn
Ich und mein Partner, mit dem ich seit zehn Jahren zusammenlebe, tragen die halbe Verantwortung für seine Kinder aus einer früheren Beziehung, einen 15-jährigen Jungen und ein 14-jähriges Mädchen. Außerdem haben wir eine gemeinsame Tochter, die 5 Jahre alt ist. Die Exfrau meines Partners hat mit ihrem neuen Mann zwei Söhne im Alter von 1 und 2 Jahren bekommen.
Dieser Brief handelt von meinem 15-jährigen Stiefsohn Marius. Als seine Stiefmutter habe ich inzwischen eine 10-jährige Erfahrung mit einem Jungen, dessen Verhalten Kinder und Erwachsene gleichermaßen irritiert. Schon damals lernte ich einen 5-Jährigen kennen, der täglich Wutausbrüche hatte, übermäßig viel weinte und sich ständig ungerecht behandelt fühlte. Den Kindergartenbetreuern fiel schon früh sein aggressives Verhalten auf, das sich die ganze Schulzeit hindurch fortsetzte. Marius ist ein extrem unausgeglichener Junge, dessen schlechte Laune leider seine hervorstechende Eigenschaft ist. Oft ist er reizbar, wütend und aufbrausend. Außerdem fühlt er sich ständig ungerecht behandelt. Nicht den kleinsten Hinweis kann er ohne Diskussion entgegennehmen. In diesen Diskussionen verdreht er oft die Tatsachen und lügt. Das gilt auch für Diskussionen, die sich darum drehen, dass er irgendetwas falsch gemacht hat. Dabei verstrickt er sich immer in einen Haufen Lügen, wie dies oder jenes passiert sei, sodass sich die Geschich ten ständig ändern. Wir empfinden all diese Lügen (Dutzende jeden Tag) als äußerst kränkend, da er ja nicht nur irgendeinen Fehler begeht, sondern uns danach auch noch ins Gesicht lügt und uns am Ende gar beschimpft, weil wir ihn beschuldigt haben.
Solche Diskussionen ziehen sich immer ewig in die Länge und führen bei allen zu großer Erschöpfung. Doch schon wenige Minuten danach kann er so tun, als sei nichts gewesen. Er zeigt niemals die geringste Reue, ist hinterher aber manchmal extrem bescheiden und versucht, sich bei uns einzuschmeicheln. Dann zeigt er sich von seiner besten Seite, damit auch wir die Diskussion ad acta legen.
Oft bestiehlt er seine eigene Familie. Er hat mehrmals die Spardosen seiner Geschwister geplündert und ist auch schon in flagranti dabei erwischt worden, wie er uns Geld aus dem Portemonnaie stehlen wollte.
Auch zu Ladendiebstählen ist es schon gekommen. Er hat einen enormen Geldverbrauch. Was er hat, gibt er schnell aus.
Marius erledigt fast alles nur halbherzig. Nichts wird richtig gemacht, was hundertmal am Tag zu Ermahnungen, Streitereien und Frustration führt. Seit Jahren halten wir ihm Tag für Tag dieselben Dinge vor, doch scheint er nicht einmal daran zu denken, sich so zu verhalten, dass ihm diese Vorwürfe erspart bleiben.
Marius hatte schon immer Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Er lässt sich leicht ablenken. Wenn wir zusammen einen Film sehen, sind
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