Vierbeinige Freunde
nicht. Kusja erging sich bloß ein wenig vor dem Käfig und kehrte dann sofort wieder zurück.
Daraufhin beschloß Nikita, beide Kondore zu einem Spaziergang herauszulassen. Ihm taten die Vögel leid, weil sie nur wenig von der Sonne zu sehen bekamen. So öffnete er denn ihren Käfig. Die Flügel der Kusicha schnürte er für alle Fälle zusammen. Kusja ließ er frei, weil er überzeugt war, daß der Kondor sein Weibchen nicht verlassen würde.
Und Nikita hatte sich nicht geirrt. Kusja versuchte nicht einmal davonzufliegen. Vom ersten Tage an hatte er Gefallen an einem kleinen Steinhügel gefunden, der sich in der Nähe befand. Und als man ihn herausließ, begab sich Kusja mit seiner Kusicha dorthin.
Auf dem Hügel saßen sie gewöhnlich bis vier Uhr nachmittags; dann stieg zuerst Kusja und nach ihm auch seine Gefährtin herab. Beide kehrten zu ihrem Käfig zurück. Um diese Zeit: erhielten die Kondore jeden Tag ihre Fleischration, und das hatten sie sich gut gemerkt.
Den ganzen Frühling verbrachte das Kondorpaar auf dem Hügel. Als sich aber der Mai seinem Ende näherte, sah man die beiden Kondore nur noch auf den Wegen des Tiergartens. Sie sammelten Reiser und allerlei Schutt und trugen sie in ihren Käfig.
Besonders eifrig war Kusja. Er schleppte alles heran, was ihm in den Weg kam: Mal nahm er der Reinmachefrau einen Besen ab, mal leerte er einen Papierkorb, ja, er brachte es sogar fertig, einem Malergesellen das Jackett zu entführen. Der Maler hatte es für einen Augenblick auf eine Bank gelegt. Plötzlich sah er, wie Kusja das Jackett in den Käfig trug. Der Maler wollte ihm das Kleidungsstück wegnehmen, da begann der Kondor drohend zu zischen und gab durch seine Haltung zu verstehen, daß er sich vom Jackett nicht freiwillig trennen würde. Der Maler mußte den Wärter holen.
Während er Nikita suchte, verlor auch der Kondor seine Zeit nicht. Er hatte das Jackett in seinen Winkel geschleppt und gab sich die größte Mühe, es dort so bequem wie möglich unterzubringen. Das Jackett war bereits gehörig beschmutzt und die Tasche eingerissen. Er wollte gerade den Kragen abreißen, als Nikita und der Maler angelaufen kamen.
Nikita nahm einen Besen und warf ihn dem Kondor hin. Kusja ging zum Besen, der Wärter aber ergriff das Jackett und verließ rasch den Käfig.
Nach diesem Vorfall durften die Kondore nicht mehr Spazierengehen. Nikita hatte jedoch begriffen, daß das Paar ein Nest bauen wollte, und so legte er Tag für Tag Reiser in den Kondorkäfig. Er brachte jedes Mal einen ganzen Arm voll. Und bis zum Abend schleppten Kusja und Kusicha alles in ihren Winkel.
Zunächst schichteten sie die Reiser zu einem Haufen. Dann legte Kusicha ein Ei und begann es auszubrüten.
Der Kondor war in rührender Weise um seine Gefährtin bemüht. Wenn Futter gebracht wurde, nahm er das ganze Fleisch und trug es zu ihr, anstatt selbst etwas zu fressen. Wenn Kusicha aufstand, beeilte er sich, sie im Nest zu ersetzen.
Am zweiundfünfzigsten Tage schlüpfte der junge Kondor aus dem Ei. Er war mit weißem Flaum bedeckt und sah aus wie ein kleiner Puter. Die Eltern betreuten ihren hilflosen Nestling mit großer Sorgfalt. Sie fütterten und wärmten ihn um die Wette und ließen ihn keinen Augenblick allein.
Der Kondorfamilie war jedoch kein langes Leben beschieden. Eines Tages, als Nikita kam, um seine Pfleglinge zu füttern, verzichteten sie überraschenderweise auf das Fleisch. Nikita holte sofort den Arzt.
Aber was konnte der Arzt unternehmen? Damals gab es im Tiergarten noch kein Laboratorium. Beinahe drei Wochen waren die Kondore krank. Nikita wandte viel Arbeit und Mühe auf, um sie gesundzupflegen. Es gelang ihm aber, bloß Kusja zu retten.
Der Kondor blieb vereinsamt zurück. Tagelang saß er mit gesträubten Federn da, dann wieder lief er im Käfig hin und her und suchte seine Gefährtin. Als Nikita ihn zum Spaziergang herausließ, begab sich Kusja sofort zu seinem Hügel, breitete die Flügel aus und stieg zu unserer Überraschung in die Luft.
Bald war er in den Wolken kaum noch zu sehen. Schon dachten wir, er würde nicht mehr zurückkehren, da flog er in großen Kreisen herab … er schwebte bereits über dem Tiergarten … und ließ sich auf einem Weg nieder.
Vielleicht war es die langjährige Gewöhnung an die Stelle, wo sein Nest gewesen war, die den Kondor veranlaßte, in seinen Käfig zurückzukehren.
Viele Jahre sind seitdem verstrichen. Nikita ist alt geworden. Sein Rücken ist gekrümmt, und
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