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Vilja und die Räuber: Roman (German Edition)

Vilja und die Räuber: Roman (German Edition)

Titel: Vilja und die Räuber: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siri Kolu
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Karlo – was – ist – das?«, fragte sie mit einer Stimme, die es im Bus kälter werden ließ als in einem Kühlschrank.
    » Ach, was denn?« Der Wilde Karlo stellte sich unwissend.
    » Das Kind da. Ich will eine Erklärung. Sofort!«
    Nur eine war noch wilder als Hele, nämlich Hilda, wenn sie wütend wurde. Und nun war es bald so weit.
    » Du sagst doch immer, ich könnte keine schnellen Entschlüsse fassen«, sagte der Wilde Karlo mürrisch. » Ich wäre nicht flexibel genug bei meinen Entscheidungen, heutzutage bräuchte man Instinkt und Inspiration! Nun, jetzt bin ich eben flexibel! Endlich folge ich meinen Eingebungen, meiner In-spi-ra-tion! Als Hauptmann handle ich blitzschnell! Und überhaupt«, er grinste Kalle verschwörerisch zu, » bevor ich in Rente gehe, müssen wir wenigstens ein paar Inspirationsüberfälle gemacht haben. Das hier war der erste.«
    Wir fuhren immer noch unglaublich schnell. Erst waren wir noch ein kleines Stück auf der Asphaltstraße geblieben, die mir von den Fahrten zu Oma vertraut war, aber dann bog der Bus mit einem Handbremsenschwung schleudernd auf eine Schotterstraße ein, die ich nicht kannte. Ich wusste, jetzt verlor Papa den Räuberbus aus den Augen, falls er überhaupt versucht hatte, uns zu verfolgen. Ich war mit diesen furchterregenden Leuten ganz allein in ihrem Wagen.
    » Gut gemacht«, sagte der Wilde Karlo.
    Ich gab es auf, die Straße hinter uns zu beobachten, und sah mich im Bus um. Im Heck standen sich zwei Sitzbänke gegenüber. Dazwischen war ein kleiner Tisch, der jetzt flach an die Wand geklappt war. Überall im Innenraum gab es Verstecke, herunterhängende Kleiderbeutel, Schubladen unter den Sitzen, ausklappbare Tische, und hinter den Rückenlehnen ragten aufgerollte Matratzen hervor. Alle bewegten sich mit großer Sicherheit in dem kleinen Raum und schienen genau zu wissen, wo was zu finden war.
    Sie hatten mich auf die hinterste Bank gesetzt, ans Fenster. Ich betrachtete die merkwürdige Deko an den Busfenstern, eine ganze Reihe von erhängten Barbiepuppen, alle mit toupiertem Haar und in perfekt gestyltem Räuberlook. Jede Einzelheit im Wagen schien zu betonen, wie stinknormal ich war und wie merkwürdig und feindselig dagegen diese Welt, in die ich nun hineingeraten war. Ich wagte nicht daran zu denken, in welch großer Gefahr ich vermutlich schwebte.
    » Sollten wir nicht doch …«, begann Hilda vorsichtig. » Wir könnten ja noch umdrehen …«
    » Sollten wir ab-so- LUT nicht!«, unterbrach der Wilde Karlo. » Keine Diskussion. Wir drehen nicht um. Das ganze Frühjahr über musste ich mir das Gemaule anhören, dass ihr so allein seid. Also, hier ist eine Freundin für euch.«
    » Freunde kann man nicht so einfach rauben«, sagte Kalle. » So funktioniert das nicht.«
    Ich sah ihn dankbar an. Vielleicht konnte er die Entscheidung rückgängig machen. Wenn sie mich rausließen, würde ich sicher jemanden finden, der mir helfen würde heimzukommen.
    » Doch, heute schon«, sagte der Wilde Karlo. » Das ist ein Befehl des Hauptmanns.«
    Zu meinem Erstaunen nickten alle, und die Sache wurde nicht weiter diskutiert. Die Räuberfamilie funktionierte also über Befehl und Gehorsam. Das war das Erste, was ich über den Alltag der Räuberbergs lernte.
    Während der langen Fahrt an diesem Tag hatte ich viel Zeit, die Räuberfamilie genau zu studieren. Ich war nicht gefesselt und hatte auch keine verbundenen Augen wie Entführte im Film. Den Räubern schien überhaupt nicht bewusst zu sein, dass sie sich eine sorgfältige Beobachterin in ihre Mitte geholt hatten. Ich sah mir Karlos große, wedelnde Gesten an und die blonde Hilda, die ihrem Mann immer einen Gedanken voraus zu sein schien: Als sich der Wilde Karlo nach einer Zwischenmahlzeit auf einen Stuhl fallen lassen wollte, war der dort eine halbe Sekunde vorher aufgestellt worden. Gold-Piet schlängelte sich zwischen ihnen hindurch, als wäre er eine Schnur, die alles zusammenknüpfte, eine dünne Schnur mit Goldzähnen, aber seinen breiten Dialekt verstand ich lange überhaupt nicht. Am meisten achtete ich auf die Kinder: Kalle, der mich verstohlen anguckte, und die zwei Jahre ältere Hele in ihrem Kampfanzug, die offenbar als Einzige bemerkte, wie ich die Familie beobachtete.
    » Guck nur, das kostet nichts«, sagte Hele, nicht böse, sondern nüchtern feststellend, wie es ihre Art war, » aber wenn du was aufschreibst, lese ich es.« Daraufhin sah sie mich forschend und lange an, wie ein Hai, der die

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