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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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noch verwirrt ansah, fing er so unvermittelt an zu kichern, dass ich intuitiv ein Stück zurückwich. Die Klaviermusik hörte auf zu spielen und ein Mädchen mit kurzen blonden Haaren und einem dunkelblauen Kleid trat hinter ihm aus einem Zimmer heraus. Sie sah mich fragend an.Mist, hatte ich doch an der falschen Tür geklingelt? Wie peinlich.
    »Ich komme wegen dem Zimmer«, wiederholte ich, diesmal noch unsicherer als zuvor. »Ist es noch frei?«
    »Klar«, sagte der Junge nach einer Sekunde des Zögerns und machte eine einladende Handbewegung, die vornehm und spöttisch zugleich wirkte. Er trat zur Seite, um mich hereinzulassen. Das Mädchen lächelte jetzt, wenn auch mehr zu sich selbst. Ich konnte sehen, dass ihre Haare an der Seite schwarzblond gestreift waren.
    »Ich bin Nina«, sagte ich und fragte mich, wo ich hier gelandet war.
    »Julius.« Der Junge marschierte vor mir durch einen engen Vorraum, ohne sich umzudrehen. Rechts ging eine Tür ab, wahrscheinlich in den Keller. Danach kam eine großzügige Eingangshalle mit hohen Decken und altem Parkett. Hier drinnen war es angenehm kühl, wahrscheinlich weil kaum Licht hereinkam.
    »Ich bin Claire«, sagte das Mädchen und streckte mir lächelnd die Hand entgegen. »Was machst du denn hier in Leipzig?«
    »Ich habe einen Ferienjob in einer Anwaltskanzlei«, antwortete ich, froh, dass zumindest sie ein wenig Interesse zeigte. Wir folgten dem Jungen. Wahnsinn, wie viel Platz hier war. Man hätte in der Halle tanzen können, wie in einer alten Hollywood-Komödie. Nur ein bisschen dämmrig war es. Aber warumhatte Julius kurz gezögert, ehe er mich hereinließ? Entweder das Zimmer war noch frei oder nicht, was gab es da zu überlegen?
    Eine breite Treppe führte rechts ins obere Geschoss. Jemand hatte ein orangefarbenes Verkehrshütchen auf eine der Stufen gestellt. Oben war alles dunkel.
    Julius blieb stehen. »Da ist gesperrt.« Er wedelte mit der Hand in Richtung Treppe. »Wir wohnen nur unten. Hochzugehen ist keine gute Idee.«
    Ich blieb erschrocken stehen.
    »Baufällig«, sagte er mit amüsiertem Gesichtsausdruck. »Keine Geister.« Er riss eine Tür auf. »Voilà!« Offenbar liebte er große Gesten. Nun gut, ich würde schnell einen Blick in das Zimmer werfen und mich dann schleunigst verabschieden.
    »Zweihundert Euro im Monat. Schnäppchenpreis, sozusagen.« Er klang selbst ganz beeindruckt. »Für wie lange möchtest du denn einziehen?«
    »Nur so lange, wie ich in der Kanzlei arbeite«, meinte ich. »Also bis Ende August.«
    »Dann sagen wir doch dreihundert Euro für die ganze Zeit«, sagte er lässig.
    »Das ist aber billig«, sagte ich überrascht und sah an ihm vorbei durch die Tür. »Ich ...«
    Einen Moment lang verschlug es mir die Sprache. Das Zimmer war riesig. Es hatte ebenfalls Parkettfußboden und gläserne Flügeltüren am anderen Ende, die offenbar in den Garten führten. KnorrigeÄste pressten sich von außen an die Scheiben. Kein Mensch, den ich kannte, wohnte so.
    Die Wände waren in einem ungesunden Grünton gestrichen, aber damit konnte ich leben. Ich ertappte mich dabei, wie ich in Gedanken bereits Möbel umstellte und Bilder aufhängte.
    »Wieso eigentlich zweihundert?«, unterbrach ich schließlich das gemeinsame Schweigen. »In der Anzeige stand doch zweihundertfünfzig?«
    Dass ein Mietpreis runterging, hatte ich in meinem Leben noch nie gehört, und es machte mich stutzig. War irgendwas mit dem Zimmer?
    »Hat sich geändert«, meinte Julius gleichmütig. »Schau dich in Ruhe um, ich bin dann in der Küche, wenn du so weit bist.«
    Er schien davon auszugehen, dass ich das Zimmer nehmen würde. Und welcher logische Grund sprach dagegen? Etwas Besseres würde ich für den Preis bestimmt nicht finden.
    »Woher kommst du?«, fragte Claire. Sie war mit mir im Zimmer geblieben.
    Ich murmelte den Namen meiner kleinen Stadt, die mir in dieser unbeschreiblichen Villa noch provinzieller und spießiger als sonst vorkam, aber Claire hatte offenbar nur der Form halber gefragt, denn sie redete sofort weiter. »Ich bin aus Leipzig. Hatte eigentlich vor, in Weimar zu studieren, die wollten mich aber nicht. Musik«, fügte sie erklärend hinzu. »Da fange ich eben im Herbst hier an. Hauptfach Klavier.«
    »Was ich gehört habe, klang doch toll«, sagte ich und betrachtete den alten Schreibtisch, der bereits hier stand, und das Bett. Sogar ein Schrank und ein paar Bücherregale waren vorhanden. An der Wand hing ein Kalender mit Landschaftsfotos.

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