Villa des Schweigens
hatte.
Das hässliche schwarze Hemd mit dem roten Muster. Schon halb auf dem Weg zu seinem Date hatte Benjamin plötzlich das Gefühl gehabt, völlig falsch angezogen zu sein, und war wieder umgekehrt. So erzählte er es mir, als er mich zwei Tage später mit Julius im Krankenhaus besuchte.
»Julius hat sofort den Notarzt gerufen. Er hat ihnen auch gleich gesagt, dass du wahrscheinlich eine Tablettenvergiftung mit Moxicotron hast, das hat Zeit gespart und dich gerettet. Wahnsinn.«
Wahnsinn hatte er schon mehrmals gesagt.
»Danke«, flüsterte ich. Meine Stimme klang ganz kratzig. Ich lehnte mich im Kissen zurück. Sprechen strengte mich immer noch an. Mein Hals brannte beim Schlucken, man hatte mir den Magen ausgepumpt. Etwas Ekligeres gab es wohl kaum auf der Welt. Claire hatte dem Tablettencocktail noch Schlafmittel beigemischt. In den Tonic, den sie selbst nicht getrunken hatte.
Benjamin schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. »Was ist nur in Claires Kopf vorgegangen?«
Ich zuckte mit den Schultern. Was Claire gedachthatte, das wusste wohl nur sie allein. Oder vielleicht nicht einmal das. Irgendetwas in ihr war übergeschnappt, wahrscheinlich schon vor langer Zeit. Probleme zu Hause, Ablehnung, die sie nicht ertragen konnte.
Julius hatte mir eine Kurzfassung der letzten Tage geliefert. Wie Claire doch tatsächlich in aller Seelenruhe vor dem Krankenhaus auf Stefan gewartet hatte. Wie sie ihn dazu hatte bewegen wollen, mit ihr im Park spazieren zu gehen. Und ihm, als er sich entnervt weigerte, irgendwas davon erzählt hatte, dass sie jetzt beide frei wären. Frei von mir und Lauren. Und wie Stefan die langsame und gruslige Erkenntnis gekommen war, dass da irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Die große Liebe, von der Claire mir berichtet hatte, war nämlich lediglich eine Angelegenheit von ein paar Tagen gewesen, ohne Bedeutung für Stefan. Das meiste davon hatte nur in Claires Fantasie stattgefunden.
»Stefan ist ganz verzweifelt«, sagte Julius jetzt zu mir. »Erst Lauren und dann du, alles seinetwegen.«
»Ich bin aber nicht tot«, erinnerte ich ihn.
»Natürlich nicht«, sagte Julius hastig. »Entschuldige. Ich meine ...«
»Ist schon gut«, unterbrach ich ihn. Ich wollte nicht über Stefan reden. Vielleicht irgendwann später mal. Er hatte mir eine Karte mit dem Bild eines Geckos mitgeschickt. Wenigstens hatte er die selbstbesorgt und nicht einfach nur weitergereicht wie die anderen Sachen ...
Ich hatte auch keine Lust, über Claire nachzudenken und darüber, wo sie jetzt war und was wohl mit ihr geschehen würde. Benjamin berichtete, dass sie in U-Haft saß, und vermutete, dass sie in die Psychiatrie gebracht werden würde.
»In die Klapse«, sagte er. »Zu Jette.«
»Dann muss Stefan aber schleunigst auf eine andere Station. Sonst muss er die beiden noch füttern«, bemerkte Julius und da musste ich tatsächlich lachen, das erste Mal seit einer halben Ewigkeit. Julius sah mich erleichtert an.
»Ich weiß, wie schrecklich du dich fühlst«, sagte er dann leise. »Mir haben sie auch mal den Magen ausgepumpt.« Er sah so unglücklich und traurig aus, dass mir fast die Tränen kamen. Nicht mehr heulen, sagte ich mir. Das würde ich noch genug bei Laurens Beerdigung tun, die nun erst einmal verschoben worden war. Denn Laurens Tod war jetzt ein Mordfall.
Das Lachen eben hatte mir gutgetan. Ich wollte mehr davon.
»Was hast du mit dem Hemd gemacht?«, wandte ich mich an Benjamin.
»Nichts.«
»Gibt gute Putzlappen«, sagte Julius.
Benjamin winkte ab. »Nico gefällt es nicht. Ich hebe es auf. Der nächste Fasching kommt bestimmt.«
Nico. Sein neuer Freund. Wer die geheimnisvollePerson auf dem Hate- Foto war, hatte er immer noch niemandem verraten. Aber das ging schließlich auch keinen was an. Und außerdem schienen Benjamin die Collagen auf dem Boden mittlerweile eher peinlich zu sein. Er hatte angekündigt, dass er ab jetzt lieber selber fotografieren und nicht immer nur die Werke anderer Leute zusammenkleben wollte.
»Ich finde, du solltest das Hemd einrahmen und an die Wand hängen«, sagte ich jetzt. »Es ist ein Lebensretterhemd!« Wir lachten wieder, auch wenn es meinem Hals wehtat.
Mein Vater kam zur Tür herein, ein Tablett mit drei Bechern Kaffee in der Hand. Meine Eltern waren dank Siggis und Biggis Telefon sofort benachrichtigt worden und aus Frankreich angereist. Auch Julius' Verdienst. Es tat mir leid, dass ich so viel Schlechtes über ihn gedacht hatte.
»Hier, die
Weitere Kostenlose Bücher