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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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Blaulichter, die
Kamerateams, die Globalisierungsgegner – all das ließ darauf schließen, dass es
drinnen nicht viel ruhiger sein würde. Ständig drückten sich Menschen mit
wichtigen und gehetzten Minen an ihm und dem untersetzten Polizisten vorbei. Er
wollte nicht da rein. Doch er musste. Außerdem regnete es immer noch.
    Er gab sein kleines Spielchen auf
und startete einen ernsthaften Versuch.
    „Ich bin der örtliche Pfarrer und
soll hier psychologische Betreuung leisten”, sagte er, während er dem
Polizisten seinen Ausweis unter die Nase hielt.
    Der Polizist musterte ihn von
oben bis unten. Ungekämmte Haare, die der Regen ihm an die Stirn geklebt hatte,
darunter ein unrasiertes Gesicht, eine schlaksig drahtige Figur, ein
verwaschenes hellblaues Sweatshirt mit Kapuze, Jeans und Sneakers.
    Der Polizist lachte kurz auf. „Wo
ist die Robe, eure Heiligkeit?” Dann wurde er ernst. „Presse hat hier nichts zu
suchen, also verzieh dich! Sonst kannst du gleich mal unsere GeSa kennenlernen.”
    Die GeSas waren die speziell für
den Gipfel eingerichteten Gefangenen Sammelstellen. Natürlich waren sie nicht
für Pfarrer, sondern für gewalttätige Demonstranten gedacht, doch Holger hatte
keine Lust mehr zu diskutieren.
    Besser hätte es ja fast nicht
laufen können. Ohne lügen zu müssen, würde er Lars später berichten können,
alles versucht zu haben. Man habe ihn einfach nicht rein gelassen.
    Er zuckte mit den Schultern. „O,
Ärger. Sie sind ein Meister der Kombinatorik. Was hat mich als Reporter
enttarnt? Der Bleistift hinter meinem Ohr oder das Blöckchen in der
Brusttasche?”
    Damit drehte er sich um und ging.
Er war schon fast wieder über den Parkplatz, als er hinter sich seinen Namen
hörte. Er blickte über die Schulter. Lars sah gehetzt und gestresst aus. Schweiß
stand auf seiner Stirn und seine leicht füllige Gestalt strahlte nicht die Ruhe
aus, die Holger von ihm gewohnt war. Auch seine Stimme hatte ihre langsame nordische
Gelassenheit verloren.
    „Wo willst du hin, mann? Wir
brauchen dich hier drin”, rief er. Holger ging zum Eingang zurück.
    „Deine investigativ exzellent geschulte
Streifenkraft hier hat mich leider als Mitglied der schreibenden Zunft
enttarnt. Da war nichts zu machen. Er hat einfach durch meine Camouflage
hindurch geblickt”, antwortete Holger extra laut. „Er ist mir über.”
    Lars zog eine Grimasse. Er mochte
Holgers Sarkasmus, aber zu lachen wäre weder der Situation noch seinem Kollegen
gegenüber angemessen gewesen.
    „Gute Arbeit, ganz fantastisch”,
raunte Holger dem Beamten zu, als er mit Lars zusammen das Gebäude betrat.
    Das Chaos erschlug ihn fast. Noch
nie hatte er ein solches Durcheinander gesehen – nicht einmal in seiner
Wohnung. Doch es gab kein Zurück mehr. Da musste er jetzt durch. Er wollte es
so schnell wie möglich hinter sich bringen.
    „Also, was genau ist passiert?”
fragte er Lars.
    „Hier sollte ein Vortrag
stattfinden.” Lars sprach hektischer als sonst, ohne seine norddeutsche Ruhe. Der
Akzent allerdings war trotzdem unüberhörbar. „Aber noch bevor der Redner
angefangen hat, schlägt ein Blitz in das Gebäude ein und tötet ihn.”
    „Mir kannst du die Wahrheit sagen”,
raunte Holger ihm verschwörerisch zu. „Ich bin auf eurer Seite.”
    Lars lachte kurz und freudlos
auf. „Das ist die Wahrheit. Ich weiß auch, dass es unglaublich klingt. Aber es
ist, wie es ist. Der Blitz ist durchs Dach geschlagen. Auf der Bühne hat es
gebrannt. Alle aus dem Publikum faseln irgendwas von ‘nem komischen Ton.”
    „Was für’n Ton?”
    „Keine Ahnung. Sie sagen, sie
hätten sowas noch nie gehört. Keiner weiß, wo es herkam, aber jeder hat es
gehört. Sogar der Tonmeister. Der versichert allerdings, der Ton sei nicht aus
seinen Lautsprechern gekommen. Er sagt, er hat sie sogar ausgeschaltet, aber
der Ton ist geblieben.”
    „Ein psychologisches
Massenphänomen”, vermutete Holger. Jetzt war es also tatsächlich soweit. Seine
erste Analyse. Er hatte zu arbeiten begonnen. „Selten, aber kommt vor. Der
Schock trübt die Wahrnehmung, Halluzinationen sind nicht auszuschließen.
Gleiche Umgebung und Umstände sorgen dafür, dass die Halluzination bei jedem
ähnlich ist.”
    „Ich hab keine Ahnung von dem
Scheiß.” Lars war Kriminalist. Was ihn interessierte, waren Beweise und Fakten.
    „Wo fange ich an?” fragte Holger.
    „Die Assistentin des Professors
hat es wahrscheinlich am schlimmsten erwischt. Erstens stand sie direkt

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