Virus (German Edition)
häufiger
kam es vor, dass er die Nerven verlor. Zwar zeigten sich seine Emotionen nicht
durch lautstarke Ausbrüche, doch so manchem wäre das wahrscheinlich lieber
gewesen. Die leiernde Gleichgültigkeit seiner Prosodie erhielt er auch bei
wütender Erregung aufrecht, doch inhaltlich wurden seine Aussagen feindseliger
und nicht selten zutiefst beleidigend.
Er ballte eine kräftige Faust
hinter seinem Rücken, um die emotionale Anspannung in Muskelspannung
umzuwandeln. Sublimierung konnte man das wohl nennen und es klappte
normalerweise nicht. Dann atmete er tief durch und wandte sich bemüht
beherrscht wieder an die Amerikanerin. „Es war ein Blitz, Dr. Ashcroft. Ihr
Chef wurde von einem Blitz erschlagen. Wenn es nicht jemand geschafft hat, sich
die Mächte der Natur Untertan zu machen, ist Mord auszuschließen.”
„Und dieser Ton? Und die Schrift?
Alles Zufall? Jemand hat hier manipuliert. Wie blind kann man denn sein?”
Was für eine Schrift? dachte Holger. Lars
hatte ihm mal wieder nicht alles erzählt. Aber es war ihm fast egal. Wie eigentlich
alles. Er überlegte kurz, wie er etwas über die Schrift erfahren konnte, ohne
preiszugeben, dass er keine Ahnung hatte.
„Was genau, glauben Sie denn,
hatte die Schrift zu bedeuten?”
„Woher soll ich das wissen? Ich
weiß nur, dass sie da war. Geschrieben mit Feuer.”
„Geschrieben mit Feuer?” Holger
war so überrascht, dass es einfach aus ihm raus platzte. Sogar sein
gleichgültiges Leiern vergaß er.
„ Yikes! Scheiße, wenn
einem keiner was sagt, oder? Dann wissen Sie ja jetzt, wie ich mich fühle.”
„Also, was war das für eine
Schrift?” Holger gab den Versuch auf, vorzugeben, er wisse von der Schrift.
„Eine Flammenspur hat sich bis an
die Rückwand durchgefressen und plötzlich stand da klar lesbar ‚A87’. Ich weiß
nicht, was es bedeutet. Aber ich weiß, dass es da war.”
„Flammenausbreitung ist völlig arbiträr.
Es wird sich zufällig ein Bild ergeben haben, das für Sie in ihrem
Schockzustand…”
Erneut durfte er nicht ausreden.
„Oh, ein Pyroexperte sind wir auch. Pfarrer, Psychiater und Pyroexperte. Wow ,
Sie kommen rum.”
Es brodelte in Holger. Lange
würde es nicht mehr dauern, bis er überkochte. „Liebe gute Frau! Ich versuche,
Ihnen zu helfen. Sie würden mir die Sache signifikant erleichtern, wenn Sie
mich gelegentlich einen Satz zu Ende…”
Auch diesen nicht.
„Wenn Sie mir helfen wollen, überzeugen
Sie die Polizei davon, dass es Mord war”, fuhr Ashcroft ihm ins Wort. „Sagen
Sie diesem jerk hier, er soll mich in Ruhe lassen.“ Sie sandte einen
giftgetränkten Blick zu dem Sanitäter, der immer noch versuchte, sie auf der
Trage festzuhalten „Finden Sie heraus, wie lange ein Blitz dauert oder gehen
Sie einfach Verstecken spielen. Aber vor allem: fuckin’ leave me alone. ”
Holger blickte sich um. Sublimieren.
Den Ärger ausatmen, nicht aussprechen. Er wollte sich noch eine letzte Chance
geben, sich zu beruhigen. Doch das hektische Gerenne um ihn herum, die vielen
Menschen, die Lautstärke und die stickige, verbrannt riechende Luft ließen das
nicht zu.
„Lassen Sie sie gehen”, sagte er
dem Sanitäter. Dann wandte er sich zurück an Ashcroft. Seine Prosodie war nach
wie vor ruhig und leiernd, doch ein leichtes Zittern in seiner Stimme ließ
seine Verärgerung erkennen. „Dr. Ashcroft, es war mir eine Qual. Ich werde Sie
in meine Gebete einschließen und flehen, dass es sich um eine schwere Belastungsreaktion handelt. Mögen schlaffressende Alben und Mahren für den Rest
Ihres Lebens Ihre Träume heimsuchen und Gleichgültigkeit zu Ihrer letzten
Zuflucht machen. Meine besten Verwünschungen.”
Damit drehte er sich um und ging.
Hinter sich hörte er Ashcroft die englische Bezeichnung für eine Öffnung in der
rückseitigen Körpermitte murmeln.
Hysterische
Besserwisserin! dachte er und suchte nach Lars.
Langsam wurde es etwas
übersichtlicher in dem Saal. Polizeibeamte hatten damit begonnen, die
Saalbestuhlung im rückwertigen Teil des Raums zu stapeln. Zudem hatten mehr und
mehr Menschen ihre Schockerstversorgung erhalten und wurden entweder in
Krankenhäuser abtransportiert oder durften gehen. Die Zahl der im Weg stehenden
Krankentransportliegen hatte stark abgenommen. Die Beamten des BKA schritten
mit der Zeugenbefragung voran und ließen die Menschen ebenfalls gehen.
Nach wie vor allerdings gab es
eine immense Menschenansammlung am Ausgang, denn jeder, der den Saal verlassen
wollte,
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