Visby: Roman (German Edition)
hier herumstehen.«
Nilsson stieg ein. Mir erzählte er später, er sei sicher gewesen, dass Eglund nur mit ihm reden wollte. Vielleicht stimmt es sogar, vielleicht sind er und Leute wie er derart in der Welt der Drohungen zu Hause, dass sie jede Geste richtig deuten. Und vielleicht fürchten sie sich trotzdem, aber nehmen es als unvermeidlich hin, so wie ich es hinnehme, dass ich bei der Arbeit schmutzig werde. Jedenfalls reden sie nicht über Angst. Nilsson hat beim Erzählen nicht ein Wort darüber verloren, wie ihm bei der Begegnung zumute war.
Sie fuhren nur wenige hundert Meter weit, der Dicke am Steuer, Eglund neben Nilsson auf dem Rücksitz. Am Ende einer Fichtenschonung bogen sie in einen Feldweg ein, passierten eine geöffnete Sperre, bogen noch einmal ab und hielten. Rechts lag eine gerodete Fläche. Links versperrte die Schonung den Blick zur Straße.
Eglund stieg aus und hielt Nilsson die Tür auf. »Setzen wir uns da drüben hin.« Er zeigte zu einer Bank am Wegrand. Sie gingen hinüber und setzten sich, jeder an ein Ende der Bank. Eglund hatte die Waffe eingesteckt und schlug entspannt die Beine übereinander, als hätten sie einen friedlichen Spaziergang hinter sich. Der Dicke lehnte an der Motorhaube.
»Also«, sagte Eglund. »Erklären Sie es mir. Bei allen anderen verstehe ich, was sie antreibt. Ihr Chef, sein Bruder mit den vielen Namen, seine zwei Schläger, der Mann, mit dem er heutzutage Geschäfte macht – keiner gibt mir Rätsel auf. Nur Sie, Jens. Schaut man sich Ihren Lebenslauf an, könnte man meinen, dass Sie die abenteuerlichen Jahre längst hinter sich haben. Trotzdem haben Sie die Sache ins Rollen gebracht. Sie haben herausgefunden, dass diese junge Frau nach mir suchte, weil sie mich für ihren Vater hielt. Sie haben Nandin darüber informiert. Indirekt, ich weiß, aber durch Sie hat er es erfahren. Sie haben seinen Schlägern geholfen, sie so einzuschüchtern, dass sie vom Balkon gesprungen ist, um zu entkommen. Und am Ende, als wohl jeder geglaubt hätte, die Aktion wäre abgeschlossen, sind Sie zu ihr nach Gotland gefahren. Warum?«
»Woher … «
»Sie hat es in einem Text erwähnt, den sie in einem Internetforum hinterlegt hat. Oh, nicht für mich. Für Adrian. Wer das ist, wissen Sie ja wohl. Außerdem hat mir einer Ihrer Mitarbeiter verraten, dass Sie vor zwei Wochen überraschend verreist sind. Zu einer kranken Tante, glaube ich. Sie haben gar keine Tante, oder, Jens? Also. Schenken wir uns die Ratespiele. Was wollen Sie?«
Nilsson zögerte. Ihm sei vieles durch den Kopf gegangen, sagte er mir, viele Möglichkeiten, diesem Mann zu vermitteln, wie unerfreulich er es fand, dass es ihn überhaupt gab. »Von Ihnen? Gar nichts«, sagte er schließlich. »Obwohl, das stimmt nicht ganz. Ich würde Sie verdammt gern dazu zwingen, Ihre Waffenschiebereien so abzuwickeln, dass Sie Ihre Tochter nicht in Gefahr bringen. Aber das ist aussichtslos, oder? Selbst wenn … «
Eglund fiel ihm ins Wort. »Darum habe ich mich längst gekümmert. Die Einzelheiten müssen Sie nicht interessieren, aber die Situation ist entschärft.«
»Und für wie lange? Wie viele Leute wissen inzwischen, dass Sie eine Tochter haben, die mit dem nicht eben alltäglichen Namen Dhanavati durch die Welt läuft? Wie lange wird es dauern, bis der nächste Ihrer Konkurrenten auf die Idee kommt, Sie auf diese Art unter Druck zu setzen?«
Und nun wirkte auch Eglund nicht mehr gelassen. »Wollen Sie mir erklären, wie ich meine Geschäfte führen soll?«
Nilsson stand auf. »Das ist das Einzige, was Sie interessiert, habe ich recht? Hauptsache, Ihr Geschäft läuft reibungslos. Alles andere ist unwichtig. Dhanavati hat es mir gleich gesagt, aber ich habe ihr nicht geglaubt. Ich dachte, es kann doch nicht sein, dass einem Mann die eigene Tochter so egal ist. Aber Sie fragen ja nicht mal, wie es ihr ging, als ich sie wiedergesehen habe. Wie lange es gedauert hat, bis sie es ohne Panikanfall durch den Tag schaffte, bis sie nicht mehr augenblicklich einen Albtraum bekam, wenn sie nachts mal einschlief … «
Er unterbrach sich zu spät. Es blieb lange still. Auf Eglunds Gesicht spiegelte sich Wut, die jedoch wieder verblasste und etwas anderem Platz machte, das Nilsson nicht deuten konnte.
»Ich fass es nicht«, sagte Eglund schließlich. Er sah ihn an, als wollte er in einem Buch lesen, den Kopf in den Nacken gelegt. Dass er zu ihm aufschauen musste, schien ihn nicht zu stören. »Und sie hat Ihnen einfach so
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