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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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minutes.
    No need to reply.
    D.

Das Licht stimmte nicht. Der Himmel war zwar grau, doch zu bewegt; immer wieder fanden Sonnenstrahlen eine Lücke und breiteten Fächer aus dunstigem Licht über das Meer. Auch die Tageszeit war falsch: früher Abend statt Vormittag. Die Jahreszeit stimmte erst recht nicht.
    Nur der Wind. Nasser Wind, der über kurzes schütteres Gras fegte, der an ihren Hosenbeinen zerrte wie damals an den bunten Röcken und Hosen. Sie fror. Ihre Augen tränten.
    So weit gut.
    Die Stelle wiederzufinden war lächerlich einfach. Obwohl sich alles verändert hatte. Keine hohen Bäume mehr, kein Haus. Auch den alten Zugang gab es nicht mehr, sie hatte der Straße landeinwärts folgen und an einem Kreisverkehr rechts abbiegen müssen, bevor sie auf eine Pforte in dem hohen Zaun stieß. Neben der Pforte hing ein Schild, sehr groß in Rot und Schwarz beschriftet. Am unteren Rand waren schematische Zeichnungen abgebildet. Sie hatte eine Weile gerätselt, bis sie sie erkannte.
    Geschosse der verschiedensten Art. Ganz unten stand, wer das Schild angebracht hatte: das schwedische Militär.
    Vom Meditationszentrum zum Truppenübungsgelände.
    Das Einsammeln von Souvenirs war nicht zu empfehlen.
    Immerhin war die Pforte offen gewesen.
    Und dies war die richtige Stelle. Von hier aus hatte sie zugeschaut. Neben ihr Adrian und die anderen.
    Das Auto, Nandins Auto, hatte dort näher bei den Klippen gestanden. Sie ging hinüber. An einer Gruppe niedriger Büsche vorbei, die es damals noch nicht gab.
    Hier. Sie blieb stehen, schaute um sich. Kurz hinter der Pforte waren ihr zwei Jogger entgegengekommen; jetzt spazierte dort nur noch eine Person umher, nah beim Zaun. Sie bewegte sich schwerfällig; unwahrscheinlich, dass sie bei dem Wetter noch bis zum Klippenrand vorlaufen würde.
    Also. Das Auto: hier. Nandin: zwei Schritte neben der Fahrertür. Sie drehte sich in die Richtung, in die er damals geblickt hatte: zum Haus zwischen den Bäumen, zu der Zufahrt. Zu ihnen allen, die sie dort beim Transporter der Kommune standen.
    Ihre Mutter: ihm gegenüber. Sie trat einen Schritt vor, drehte sich um. Jetzt hatte sie ihn direkt vor sich.
    Sah ihn grinsen.
    Hörte ihn lachen.
    Was regst du dich auf: Indrasena hat es doch auch erwischt.
    Gründlich.
    Nur ob dir dein Bengt das je verzeiht?
    Sie holte mit der Rechten aus, als wollte sie zuschlagen.
    Durch den Schwung drehte sie sich ein wenig nach links.
    Vor ihr lag freies Gelände. Eine Ebene. Leer.
    Sie rannte los. In langen Schritten.
    An rostigem Metall vorbei.
    An kniehohen Kiefern.
    Der Wind traf sie von rechts, wehte ihr Haare über die Augen.
    Die Kante kam näher.
    Noch ein Schritt. Noch ein Schritt.
    Wellen. Gischtkämme. Ein Fächer aus Licht. Kurz vor dem Horizont ein Schiff.
    Ihre Beine hatten angehalten. Aus eigenem Beschluss. Fünfzig Zentimeter vor ihr hörte die Ebene auf. Sie trat dicht an die Kante und beugte sich vor.
    Eine senkrechte Wand, vielleicht fünfzehn Meter tief. Darunter ein steiler Hang aus Geröll. An seinem Fuß brachen sich Wellen.
    Da unten. Irgendwo. Da unten hatte sie gelegen, mit gebrochenem Genick oder eingeschlagenem Schädel, zerschmettertem Brustkorb, gerissenen Adern. Vielleicht mit dem Gesicht im Wasser, so dass sie ertrunken war, bevor ihre Verletzungen sie umbrachten; aber vielleicht hatte sie auch in den Himmel geschaut, einige kurze Sekunden lang, in den grauen Himmel und zu der Kante hinauf, von der sie gesprungen war; vielleicht hatte sie noch gesehen, wie die ersten ihrer ehemaligen Freunde zu ihr herabblickten, schrien, winkten; vielleicht hatte sie aber auch nichts mehr erkannt, und die Schreie waren im Klatschen der Wellen untergegangen, im Knirschen und Rollen der Kiesel, über die das Wasser zurückflutete, im Wind, im Rauschen in ihren Ohren.
    Sekunden. Zeit genug, sich klar zu machen, was man da eben weggeworfen hatte.
    Sie richtete sich auf. Zwanzig Meter vor ihr segelte eine Möwe. Der Fächer aus Licht hatte sich intensiviert, das Wasser an seiner Basis leuchtete gelb. Das Schiff war ein wenig näher gekommen, weiß, es hielt auf den Hafen von Visby zu.
    Ihre Fähre. Vermutlich. Mit der sie zum Festland fahren würde, die erste Etappe auf der Reise nach Värmland. Während Jens’ Flieger wohl schon zum Landeanflug auf Stockholm ansetzte.
    Der Wind blies stetig. Nass. Kalt. Trotzdem war nichts wie früher. Damals war sie ein Kind gewesen. Sie hatte dabeistehen müssen, hilflos. Andere hatten bestimmt, was sie sah,

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