Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann
aus Robs Blick zu lösen. Er starrte den Teppich an. Sein Gesicht war düster.
»Ja«, sagte er.
»Mehr als alles andere«, fügte Rob hinzu. »Du würdest für sie auf dem nackten Bauch über Glasscherben kriechen. Ohne mit der Wimper zu zucken.«
»Ja, verdammt noch mal«, sagte Gabriel. »Bist du nun zufrieden?«
Rob blickte Kaitlyn an.
Kaitlyn fühlte sich schwindelig, ihr Körper strebte in so viele verschiedene Richtungen, dass sie wie angewurzelt stehen blieb. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Doch vor allem anderen beherrschte sie das eine Ziel: Sie durfte Rob nicht verletzen. Sie liebte ihn zu sehr, um ihn zu verletzen. Und in Gabriels Blick las sie dasselbe.
Sie wusste inzwischen, dass es möglich war, zwei Menschen gleichzeitig zu lieben – weil sie sie unterschiedlich liebte. Für Rob empfand sie eine warme Zärtlichkeit, Dankbarkeit, weil er sie gelehrt hatte, dass Liebe möglich war, weil er das Eis in ihrem Herzen geschmolzen hatte. Diese Liebe war stark und sanft und beständig, voller Bewunderung und Vertrautheit, fußend auf gemeinsamen Vorlieben und Abneigungen. Sie war golden und warm wie ein Sommernachmittag.
Und wenn sie nicht die Leidenschaft, das verzweifelt tiefe Gefühl war, das Kait für Gabriel empfand, so wollte sie nicht, dass Rob es je erfuhr.
Doch als Rob sie ansah, sie mit diesen klaren lichterfüllten Augen anblickte, merkte sie, dass ihre Schutzschilde zusammengebrochen waren. Sie war zwei Tage ununterbrochen wach gewesen und hatte fast ebenso lange Schmerzen oder Angst durchlebt. Es war nichts mehr da, womit sie sich hätte schützen können.
Und sie sah, sie spürte, dass er direkt in sie hineinblickte. Rob wusste es.
»Warum hast du es mir nicht gesagt?«, fragte er sie nach einer kleinen Ewigkeit.
»Ich … es hat sich erst … im Lauf der Zeit … es ist so viel passiert …« Kaitlyn zögerte. Nichts war ihr wichtiger, als dass es Rob gutging. Zwar musste sie sich eingestehen, dass sich ihre Liebe für ihn im Lauf der Zeit nach und nach verändert hatte, doch sie wusste nicht, wie sie es erklären sollte. »Wahrscheinlich ist es nur … ich komme schon darüber hinweg. Mit der Zeit …«
»Oh nein, das wirst du nicht«, sagte Rob. »Keiner von euch kommt darüber hinweg. Ich meine, das hoffe ich wenigstens. « Er klang so unlogisch, wie Kaitlyn sich fühlte, und er musste ständig schlucken. Doch dann fuhr er hartnäckig fort: »Kait, ich liebe dich. Das weißt du. Aber damit kann ich nicht mithalten.« Er trat einen Schritt zurück. »Ich bin nicht blind. Ihr beide gehört zusammen.«
Er sah … traurig aus, dachte Kaitlyn, traurig, aber nicht am Boden zerstört. Er machte nicht den Eindruck, als sei sein Leben ruiniert. In seinem Leben war Platz für so vieles.
In diesem Moment legte Anna ihm von hinten die Hand auf die Schulter. Kaitlyn sah sie über Robs Schulter hinweg an.
Anna lächelte unsicher. Ihre dunklen Augen waren feucht, schienen aber von innen zu leuchten.
Plötzlich überkam Kaitlyn eine unendliche Leichtigkeit, als wäre ihr eine tonnenschwere Last abgenommen
worden. Sie sah Anna und die Art, wie sich Rob unbewusst gegen sie lehnte. Und eine überschäumende Erleichterung hob Kaitlyn in den Himmel.
Ich hatte gerade eine Vorahnung, erklärte sie Anna im Stillen. Liebe und Freude schwangen in ihren Worten mit. Ihr werdet sehr glücklich werden. Deine beste Freundin rät dir, es anzupacken.
Anna strahlte, als hätte jemand hinter ihr ein Licht angeknipst. Du gibst mir die Erlaubnis?
Ich gebe dir den Befehl!
Lewis lachte laut. Dann sagte er: »Hat nicht jemand etwas von Aufräumen gesagt? Und wie wäre es mit etwas zu essen?«
Bri, Renny und Lydia reagierten prompt auf sein Stichwort und folgten ihm in die Küche. Anna zupfte Rob sanft am Arm und verließ mit ihm das Zimmer.
Einmal sah er sich noch um.
Ich bin froh, sagte er zu Gabriel, und Kaitlyn hörte, dass er es ernst meinte. Ich meine, es tut weh, aber ich freue mich für dich. Pass gut auf sie auf.
Dann war er weg.
Langsam drehte sich Kaitlyn zu Gabriel um.
Erst in diesem Moment wurde ihr klar, dass niemand ihn gefragt hatte. Auch wenn er sie wirklich liebte, kämpfte er vielleicht gegen seine Gefühle an. Vielleicht wollte er sie gar nicht mehr, nachdem so viele Leute ihre Hände im Spiel gehabt hatten.
Doch dann sah sie in Gabriels Augen. Sie hatte schon Wut und eiskalten Zorn darin gesehen, hatte erlebt, wie sich ein Schleier darüber legte und wie sie unter Druck
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