Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition)
Lange hält er nicht mehr durch und ...“
… Tote erwecken kann ich nicht!
Auch ohne dass ich es laut ausspreche, weiß jeder hier Bescheid.
„Dann mal los, Schwesterherz!“
„ Was muss ich tun?“
„ Nimm einfach meine Hand!“
Und das tue ich. Ich schiebe meine kleine Hand in die große meines Bruders und sehe ihn vertrauensvoll an.
„Bereit?“, fragt er mit einem Augenzwinkern.
„ Bereit!“
Ein Gefühl, als löse sich mein Körper in winzigste Moleküle auf, erfasst mich.
Meine Zehen kribbeln, dann meine Unterschenkel. Meine Kniescheibe rutscht hin und her, meine Beine versagen ihren Dienst.
Vorsichtig blicke ich an meinem Körper hinab.
Nein … noch alles zu sehen.
Aber dieses irre Gefühl wird stärker. Als krabbelten Millionen Ameisen über mich ... durch mich hindurch.
Meine Hände kribbeln, die Arme schlenkern kraftlos neben meinem sich ebenfalls auflösenden Oberkörper herum.
Der irrsinnige Wunsch, mich zu räuspern, überkommt mich, als das Bitzeln meinen Hals erreicht … und schließlich von meinem Kopf Besitz ergreift.
Scheiße, ist das eklig!
Einen Wimpernschlag später sinke ich neben Kay zu Boden.
„Kay“, flüstere ich, „Kay, ich bin wieder da … Kay … kannst du mich hören?“
Ich höre Renee scharf einatmen und werfe einen kurzen Blick zu ihm.
Mein Bruder ist kalkweiß, doch schnell hat er sich wieder unter Kontrolle.
„ Ich hole den Arzt“, sagt er … und ist im nächsten Moment verschwunden.
„ Kay“, winsele ich, rüttele ihn an den Schultern.
Ein kaum merkliches Flattern blau geäderter Augenlider … es macht mir Angst, drückt mit Killerfäusten mein Herz zusammen.
Geschieht es jetzt?
Wird meine Vision jetzt Wirklichkeit?
Kein Ton dringt über Kays wachsbleiche Lippen.
Nicht mal ein Stöhnen.
„ Bitte, antworte doch!“
Nichts … noch nicht mal ein Zucken. Jetzt auch nicht mehr von den Augenlidern.
Wo, zur Hölle, bleibt Renee mit diesem verdammten Arzt?
„ Kay, bitte, bitte, bleib bei mir. Geh nicht!“
Ich zerfalle zu einem Häufchen Elend … doch dann packt mich die Wut über meine Hilflosigkeit.
„Du darfst nicht tot sein, hörst du? Ich brauche dich doch!“, schreie ich wie von Sinnen. „Wage es nicht, mich hier alleine zu lassen! Nimm mich mit! Ich will sein, wo immer du auch hingehst, Kay! Lass mich nicht zurück!“
Meine Kehle ist wund, kaum verständlich kommen die heiseren Worte aus meinem Mund.
Kay, mein Kay, liegt bewegungslos vor mir auf dem Boden … lässt mich alleine …
Mit dem ganzen Mut der Verzweiflung – oder ist es unbändiger Zorn? - brülle ich den Jungen, den ich mehr liebe, als mein Leben, immer und immer wieder an.
„Wenn du denkst, du könntest hier einfach so sterben, hast du dich getäuscht!“, tobe ich. „Du wirst gefälligst hier bei mir bleiben, hörst du? Hier! Bei! Mir! “
Vor Wut und mit allerletzter Kraft klatsche ich meine Handflächen bei jedem einzelnen Wort hart auf Kays Brust …
Nichts! Keine Reaktion!
Kay … ist tot!
Als ich die grausame Wahrheit begreife, lasse ich mich wimmernd auf Kays leblosen Körper herabsinken … bedecke ihn mit meinem eigenen ...
30)
„W ie fühlst du dich?“
Leise, kaum vernehmlich flüstere ich, als könnten meine Worte Kay Schmerzen bereiten.
Ich wage mich kaum zu bewegen, aus lauter Angst, ich könnte ihm weh tun.
Warum liege ich überhaupt neben ihm … in unserem eigenen Bett … ?
Sollte Kay nicht noch in der Krankenabteilung der CIA sein, wo man ihn überwachen kann?
Dort, wo man uns beide hin gebracht hat, nachdem es den Beamten nur kurze Zeit später gelungen war, uns auszubuddeln.
„Als hätte mich ein Laster gestreift“, antwortet er mit einem Lächeln, das wie Sonnenstrahlen direkt in mein Herz scheint und dort eine kleine Supernova auslöst, die mir schlagartig heiß werden lässt.
„ Spinner“, sage ich mit heißen Wangen und streichle ihm liebevoll über die Nase … die einzige Stelle seines Körpers die nicht mit, in verschiedenen Stadien der fortschreitenden Genesung befindlichen, schillernden Hämatomen übersät ist.
Die Blutergüsse sind alles, was noch übrig ist, von Kays lebensbedrohlichen Verletzungen.
„Mir geht es gut … dank dir!“
Kays Worte lösen etwas in mir aus, das ich noch immer erfolglos zu verdrängen versuche.
„Nein“, fauche ich ungehalten, „dank mir wärst du beinahe gestorben!“
Mir einer wütenden Handbewegung wische ich die Tränen von meiner
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