Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vita Nuova

Vita Nuova

Titel: Vita Nuova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brrazo
Vom Netzwerk:
meisten Erwachsenen weinten unterdrückt, versuchten die Tränen zurückzuhalten, aber diese junge Frau hier hatte lautstark und ohne jede Zurückhaltung losgeweint, hatte Hilfe und Trost gesucht. Am liebsten hätte er ihr beruhigend über den Kopf gestrichen, so wie er es bei seinen Jungs tat, aber heutzutage musste man vorsichtig sein. Er hatte die Mutter abwartend angeschaut, doch die reagierte überhaupt nicht, die arme Frau. Kein Wunder. Sie stand wohl noch unter Schock. Eine Blondine, wie das tote Mädchen; zwar war das Haar gebleicht und inzwischen von grauen Strähnen durchzogen, aber die blassblauen Augen verrieten den Typ. Sie war einundfünfzig, sah allerdings älter aus, vielleicht wegen des Übergewichts. Kam ursprünglich aus Alto Adige, sprach aber wohl Deutsch, denn sie hatte einen deutschen Namen – Anna Wertmüller! Schon ein bisschen seltsam, die deutsche und die italienische Sprachgemeinde dort oben waren sich nicht gerade grün, und darum fand er es ziemlich erstaunlich, dass sie hierhergezogen war. Nun ja, er wusste nichts über die damaligen Umstände, und heute war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, sich nach derlei zu erkundigen. Er hatte versucht, mit ihr zu reden, aber sie hatte ihn nur angestarrt wie ein kleines, verstörtes Kind, als erwarte sie von ihm gesagt zu bekommen, was sie tun solle. Was sollte er ihr sagen? Ihm fiel nichts weiter ein, als die weinende Tochter zu bitten, der Mutter etwas zur Beruhigung ihrer Nerven einzuschenken.
    »Sie trinkt nicht!«, wehrte die Tochter noch immer weinend ab.
    Besser, er versuchte morgen noch einmal, mit den beiden zu reden, egal, was der Staatsanwalt meinte. Für ein Weilchen rief er sich das Bild der zwei Frauen ins Gedächtnis zurück, wie sie dort in der großen Küche saßen, die er so gar nicht mochte. Hohe, vergitterte Fenster, eine geschlossene Tür, die wahrscheinlich zu den Quartieren der Dienstboten führte. So ein Haus machte viel Arbeit, aber was für eine blöde, neumodische Idee, die Küche in den Keller zu verlagern! Früher war dieser Raum ein Weinkeller gewesen, die Gewölbedecke hatten sie erhalten. Und dieser schwache Geruch, der kam und ging … kaum, dass er ihn genauer zu bestimmen versuchte, hatte er sich auch schon wieder verflüchtigt. Wahrscheinlich völlig unwichtig, aber irgendwie mit unangenehmen Erinnerungen verbunden. Die feuchten Tücher, die sie unablässig zerknüllte, waren leicht parfümiert, aber das war nicht der Geruch, den er in der Nase hatte. Kurze Fingernägel, nicht lackiert …
    Die tote Frau … er sah noch einmal in seine Notizen.
    Daniela. Älter als ihre Schwester … siebenundzwanzig. Alleinerziehende Mutter … der Mann in ihrem Leben galt natürlich als der Hauptverdächtige, damit hatte der Staatsanwalt auf jeden Fall recht. Er würde die Männer, die der Capitano für diesen Fall abgestellt hatte, auch morgen noch brauchen. Den ganzen Tag hatten sie den Turm und dessen unmittelbare Umgebung abgesucht, aber sie hatten die Waffe nicht gefunden. Als Nächstes musste das gesamte Baugelände überprüft werden. Es musste getan werden, auch wenn Guarnaccia ziemlich sicher war, dass sie auch dort ergebnislos wieder abziehen würden. Warum sollte der Mörder die Waffe zurücklassen? Jemand, der den Nerv besaß, seinem Opfer in aller Ruhe eine Kugel in den Hinterkopf zu jagen … Wenn der Täter in Panik ausgebrochen wäre, hätte er in dem Moment die Flucht ergriffen, als das Opfer zu Boden stürzte. Der Capitano hatte ihm voll und ganz zugestimmt, als er ihm abends telefonisch berichtet hatte.
    »Ein eiskalter Typ. Bedenken Sie doch, wie lang sie gebraucht haben muss, um sich mit diesen Verletzungen vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer zu schleppen. Und er hat seelenruhig in der Tür gestanden und zugesehen … Haben Sie wirklich die fehlende Kugel nicht gefunden?«
    »Tut mir leid, bis jetzt noch nicht.«
    »Verdammt selbstsicher, der Typ. Hat genau gewusst, dass sein Opfer ihm nicht entkommen kann; und er hat in dem ganzen Zimmer tatsächlich keine einzige Spur hinterlassen?«
    »Sieht ganz so aus.«
    »Ein Profi, oder?«
    »Nun ja …«
    »Sie glauben, eher nicht?«
    »Nein, nein, Sie haben bestimmt recht. Nur … einfach dazustehen und zuzusehen … er hätte sie doch sofort richtig erschießen können, oder? Zuzusehen, wie … dazu muss er sie wirklich gehasst haben … deswegen würde ich nicht ausschließen, dass … nein, natürlich, aber vielleicht haben Sie recht.«
    »Sie waren am

Weitere Kostenlose Bücher