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Viviane Élisabeth Fauville

Viviane Élisabeth Fauville

Titel: Viviane Élisabeth Fauville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Deck
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30, da wurde ein Termin abgesagt. Er liegt Ihnen sowieso schon seit Monaten damit in den Ohren, dass Sie besser dreimal pro Woche kommen sollten.
    Sie sind nach Hause zurückgekehrt, um die Tragetasche mit dem Toaster abzustellen, dann sind Sie bei der Kinderfrau vorbeigegangen. Sie haben sie gefragt, ob sie das Baby ausnahmsweise bis zum Abend behalten könnte. Aber nein, das passt ihr überhaupt nicht. Sie nehmen Ihre Tochter, füttern sie und verbringen den Nachmittag damit, im Schaukelstuhl eine Lösung zu suchen.
    In Wahrheit haben Sie die Lösung schon gefunden, Sie versuchen nur noch, sich mit der Idee anzufreunden. Wenn die Kleine einschläft, ist sie drei Stunden weg. Das lässt Ihnen genug Zeit, kurz ins 5. Arrondissement zu fahren – mit der Linie 7 geht es direkt. Sie werden das Gas abdrehen, nichts in der Nähe der elektrischen Heizkörper stehenlassen und die Tür nicht abschließen, um der Feuerwehr den Zugang zu erleichtern, falls trotz all Ihrer Vorkehrungen ein Feuer ausbrechen sollte. Ein solches Vorgehen macht natürlich Ihrem Mutterinstinkt keine Ehre. Sie sind keineswegs stolz darauf, und Sie werden die Szene gewiss nicht fröhlich Ihrer Tochter erzählen, wenn sie acht oder neun sein wird und darauf verfallen sollte, Sie bei Verfehlungen zu ertappen, nachdem ihr bei der Lektüre ihrer Jugendbücher aufgefallen sein wird, dass Sie nicht die ideale Mutter sind, die von den Romanen mit gewissem Sittlichkeitsniveau gepriesen wird. Also, Sie werden niemandem etwas davon erzählen, nie, Sie wissen Ihre kleinen Geheimnisse für sich zu behalten.
    Gegen Ende des Tages füttern Sie das Kind, bringen es ins Bett, gehen dann die Rue de l’Aqueduc hoch bis zur Metrostation. Bis nach Censier-Daubenton sind es achtzehn Stationen, die Strecke dauert eine gute halbe Stunde. Als Sie wieder auftauchen, wird es gerade Nacht. Zwei Minuten später haben Sie den Platz überquert und sind in die Rue de la Clef eingebogen, die menschenleer ist. Auch als Sie in den dritten Stock des Hauses Nr. 22 hochsteigen, begegnen Sie niemandem. Sie klingeln und als der automatische Türöffner summt, treten Sie in den Wartesaal. Fünf Minuten später ist Verabschiedungsgemurmel zu hören, dann klappt die Tür zum Treppenhaus zu. Man lässt Sie noch eine ganze Weile warten, während man einige Anrufe zu tätigen und am Fenster eine zu qualmen scheint. Sie durchblättern zerstreut das einzig Lesbare, was greifbar ist, eine Taschenbuchausgabe von Corneilles
Polyeucte
, deren aufgefächerte Seiten sich vom Einband lösen. Man hat sich wahrhaftig keine Mühe gegeben, das Lampenfieber zu besänftigen, bevor der Vorhang hochgeht, und Sie denken im Nachhinein, dass Sie, wenn eine Nummer von
Paris Match
oder
Point de vue
herumgelegen hätte, wenn man auch nur ein klein wenig versucht hätte, Ihr Übel zu lindern, statt Sie weiter hineinzutreiben, vielleicht nicht so weit gegangen wären.
    Der Doktor empfängt Sie nach einer langen Viertelstunde, er trägt ein befriedigtes kleines Lächeln zur Schau. Es sieht sogar so aus, als hätte er, zurücktretend, um Sie einzulassen, eine Verbeugung angedeutet.
    Also, beginnt er mit gespielter Gutmütigkeit, als würde er Ihnen gleich eine gute Geschichte erzählen. Aber das ist ein erprobter Trick, eine Falle, in die der Patient sich stürzen soll. Sie kennen diese Falle schon lange, dennoch sind Sie außerstande, der dunklen Kraft des Arztes zu widerstehen.
    Heute Morgen ist es wieder geschehen, fangen Sie an. Es war verschwunden während meiner Schwangerschaft, jetzt ist es zurückgekommen. Plötzlich lag ich am Boden in meiner Wohnung, also in der Wohnung meines Mannes, in meiner ehemaligen Wohnung. Es muss etwas geschehen, ich kann nicht mehr, ich muss mich um meine Tochter kümmern.
    Der Arzt sagt Ja.
    Was, ja? wiederholen Sie. Ich sage Ihnen, es muss etwas geschehen, da gibt es kein Ja oder Nein. Ich bin nicht gekommen, um bis zu Adam und Eva zurückzugehen, ich bin müde, mir muss jetzt geholfen werden.
    Aber Sie wissen sehr gut, Madame Fauville, Verzeihung, Hermant, Sie wissen sehr gut, dass die Symptome nur Symptome sind. Dass man bis zum Ursprung zurückgehen muss, nicht wahr, Madame Hermant?
    Lieber Herr, lieber Doktor, ich muss Ihnen sagen, dass mir der Ursprung schnurzegal ist. Seit drei Jahren führen Sie mich mit dieser Geschichte an der Nase herum, seit drei

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