Die unbeugsame Braut
1
Buckingham House
Pall Mall, London
I ch finde es schrecklich, dass du heute heiratest!« Lady Georgina Gordon versuchte krampfhaft ihre Tränen zurückzudrängen und schlang die Arme um ihre Schwester.
Über Lady Louisas Gesicht glitt ein Schatten. »Nicht traurig sein, Georgy. Ich weiß, dass ich dir fehlen werde, aber wir können uns doch ganz oft besuchen, bestimmt.« Die drei anderen Schwestern der Braut drängten Georgina beiseite und zupften Louisas Brautschleier zurecht.
Am liebsten hätte Georgina sich die Zunge abgebissen. Dass sie ausgerechnet der Schwester, die ihr am nächsten stand, womöglich Gewissensbisse wegen ihrer Heirat eingeredet hatte, war das Allerletzte, was sie wollte. »Rede keinen Unsinn! Du wirst mir nicht fehlen!«
Lady Louisa wechselte einen vielsagenden Blick mit ihren älteren Schwestern Charlotte, Madelina und Susan. »Warum bist du dann traurig?«
»Bin ich nicht.« Georgina wischte mit einer entschlossenen Handbewegung die Tränen fort. »Es ist nur so komisch, dass dein Hochzeitstag jetzt wirklich gekommen ist .«
Die hübsche Braut mit dem tizianroten Haar schaute sie irritiert an. »Georgy, das soll der glücklichste Tag meines Lebens sein.«
»Beachte sie nicht weiter, Louisa. Du kennst sie ja und weißt, dass sie immer nur an sich denkt.« Charlotte verdrehte die Augen. »Am
Hochzeitstag der eigenen Schwester Tränen zu vergießen, weil man ihr das Glück nicht gönnt, zeugt von schlechten Manieren.«
Georgina stand vor Verblüffung der Mund offen. »Lass dir gesagt sein, dass meine Tränen purem Selbstmitleid entspringen. Nachdem es der unermüdlichen, ehrenwerten Duchess of Gordon, unserer lieben Mutter, gelungen ist, den armen Charles Cornwallis für Louisa an Land zu ziehen und eine Lady Brome aus ihr zu machen, bin nun ich die Nächste, die in den Brennpunkt ihrer mütterlichen Heiratspolitik gerät. Sie wird erbarmungslos Jagd auf jeden Marquess und jeden Herzog im Alter zwischen neun und neunzig machen, bis sie für mich einen stupiden Ehemann ergattert hat.«
»Charles heiratet mich aus Liebe«, sagte Louisa wie zur Verteidigung.
Georginas Tränen gingen in einen Lachanfall über. »Liebe hat bei eurer Eheanbahnung absolut keine Rolle gespielt. Du bist eine Gordon, und der gesellschaftliche Rang ist das Einzige, was in der Familie zählt. Du kannst nicht abstreiten, dass Mutter zielstrebig den Duke of Manchester für Susan und den Erben des Duke of Richmond für Charlotte anvisiert und verfolgt hat, bis sie beide zur Strecke bringen konnte.«
»Georgina ist nicht ganz richtig im Kopf«, sagte Charlotte geringschätzig. »Das kommt daher, dass sie die jüngste und kleinste des Wurfes ist.«
»Und was bist du? Das älteste Biest?«, gab Georgina spöttisch zurück.
»Countess Biest, wenn ich bitten darf.«
»Ja, Countess. Mit dir hat alles angefangen. Seitdem du Colonel Charles Lennox, den Earl of March und Erben des Herzogtums Richmond, abbekommen hast, kannte Mutters Ehrgeiz für uns plötzlich keine Grenzen mehr. Ihre Titelsucht ist geradezu unersättlich.«
»Das lässt sich nicht leugnen«, musste Charlotte zugeben. »Mutters
Handeln entspringt eher dem Streben nach Geld und Ruhm als liebevoller, mütterlicher Fürsorge. Wir alle wurden auf ein einziges Ziel hin erzogen – eines Tages einen möglichst hochwohlgeborenen Titelträger vor den Altar zu schleppen. Und ich bin mir nicht sicher, dass mein lieber Earl of March sich zu einem Antrag durchgerungen hätte, wäre ich nicht die Tochter des Duke und der Duchess of Gordon.«
»Zu keinem Heiratsantrag jedenfalls«, bemerkte Georgina beiläufig.
Die Schwestern lachten über den Witz. Als Jüngste der Familie war die altkluge kleine Schönheit von ihren Geschwistern nach Strich und Faden so vergöttert und verwöhnt worden, dass sie sich alles herausnehmen durfte. Allerdings hatte die ganze Töchterschar eine höchst unkonventionelle Erziehung genossen. In wechselnder Umgebung zudem, denn sie waren gependelt zwischen dem Märchenschloss Gordon Castle im schottischen Hochland, einer eleganten Residenz in Edinburgh, einem großen, wenn auch unprätentiösen Anwesen in Kinrara am wilden River Spey und dem weitläufigen Stadtpalais an der Londoner Pall Mall, wo sich auch alle zur Feier der bevorstehenden Hochzeit zusammengefunden hatten, die das große Sommerereignis zu werden versprach.
Aufgeregt rauschte Jane Gordon in Louisas Zimmer und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.
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