Vogelfaenger
Tagen. Ich merkte wohl, dass Ida ihre Nase etwas höher trägt, und obwohl mich Arroganz wegen Geld normalerweise stört, fand ich das auf dem Fußballplatz gerade gut. Als sie sich in ihren teuren Klamotten vorsichtig über den klebrigen Tresen lehnte, mit der Plastikgabel so geziert nach meinen Pommes pickte, als hielte sie Sushi-Stäbchen in der Hand, und dann lässigsagte, sie wäre am Wochenende ja eigentlich lieber zum Wasserski gefahren, verströmte sie für mich einen Hauch von weiter Welt. Ich habe in meinem Leben bisher weder auf Abfahrts-, geschweige denn auf Wasserskiern gestanden, aber ich kenne tausend verrückte Geschichten vom Fußballplatz, ich weiß mich zu wehren und durchzuwurschteln und mit meinen lockeren Sprüchen konnte ich mich bei Ida interessant machen. Wir unterhielten uns prächtig, aber ich glaube, sie fand mich genauso schräg und fremd wie ich sie.
Nach dem Volksfest kam sie natürlich nicht mehr auf den Sportplatz. Unser Kontakt brach ab, obwohl ich sie noch einige Male anrief. Sie hatte nie Zeit, mich zu sehen, sodass unsere kurze Freundschaft völlig in Vergessenheit geraten wäre, wenn ich sie nicht zwei Monate später, ausgerechnet an meinem schlimmsten Abend, zufällig getroffen hätte. Und nun fahren wir sogar gemeinsam in den Urlaub.
Auf der sonnigen Restaurantterrasse mache ich mich über gedeckten Apfelkuchen mit Sahne her. Herr Bärlauch isst mir zuliebe ein Stückchen mit, wenn er auch das meiste mit der Gabel zerkrümelt und den Spatzen zuwirft, die zwischen den Tischen herumhüpfen.
»Früher hatten wir auf dem Hof unzählige Spatzen«, seufzt er dabei. »Das gibt’s heute gar nicht mehr.«
»Tu nur nicht so sentimental, Papa«, faucht Ida, »du magst Tiere doch nur, wenn sie tot auf dem Teller liegen.«
Ich lache, aber Markus Bärlauch schiebt jetzt angewidert sein Tablett zur Seite und verschränkt die Arme vor der Brust. »Nicht dieses Thema bitte«, sagt er kalt.
Die angespannte Stimmung zwischen den beiden stört mich langsam.
»Mein Rocky wird jetzt auch ein Gourmet«, behaupte ich extra albern und streichele meinem Schätzchen über den Rücken. »Er bekommt sein Dosenfutter nur noch mit dekorativen Beilagen serviert. Wollen Sie nicht mal Feinschmeckerzeugs für Haustiere entwickeln?«
»Hahaha!« Ida rührt mit dem Strohhalm so heftig durch ihr Colaglas, als wolle sie die Eiswürfel zertrümmern. »Mach das, Papa! Das wäre wirklich ’ne Herausforderung!« Sie sieht ihren Vater auffordernd an.
»Soll das eine Anspielung sein?«, kontert der. »Hm? Willst du mir irgendetwas sagen? Dann überleg dir aber gut, was!«
Einen Moment lang befürchte ich, dass es – warum auch immer – zwischen den beiden zum Eklat kommen könnte. Vater Bärlauch sieht seine Tochter so grimmig an, dass es sein ganzes Gesicht verzerrt, der Mund klappt ein bisschen fischig auf, die Zähne treten vor, die hohe Stirn kraust sich in unheilvollen Falten wie ein Gewitterhimmel.
»Wir können sofort zurückfahren, wenn dir was nicht passt«, sagt er bedrohlich leise.
»Nö, schon erledigt. Nicht der Rede wert.« Ida knickt ein. Sie legt den Kopf schief, lächelt, nimmtseine auf dem Tisch liegende Sonnenbrille und setzt sie sich auf. Mich, die ich etwas irritiert und äußerst stumm dasitze, grinst sie an, aber ich weiß nicht, ob sie im Schutz der dunklen Gläser nicht ein paar Tränchen wegknibbelt.
»Gut.« Vater Bärlauch scheint sich jetzt auch an meine Anwesenheit zu erinnern, er klopft mir auf den Rücken, sagt: »Iss nur, iss, lass dich nicht abhalten!« Dann reibt er sich lange mit beiden Händen über das Gesicht. »Schmeckt’s dir denn wenigstens, Nele?«
»Mh.« Besser, ich halte mich raus. Ich weiß sowieso nicht, worum’s geht, wahrscheinlich um Köche und ihre Essgewohnheiten.
Er nickt und wir schweigen. Ida verschanzt sich hinter der Sonnenbrille, ihr Vater beobachtet melancholisch die Spatzen.
Ich muss an Tobias denken. Von den vier SMS, die ich heute ab sechs Uhr früh von ihm bekommen habe, werde ich Ida erst mal nichts erzählen.
Die erste Kurznachricht war harmlos:
Fahr nicht! Bitte! Ich brauche dich.
Ich las sie im Halbschlaf und dachte noch, dass ich mir das in den letzten Wochen so gewünscht hatte – ein Versöhnungsangebot von Tobias. Um halb sieben kam die zweite SMS.
Antworte, bitte.
Um halb sieben schlafe ich in den großen Ferien normalerweise und wollte es auch an diesem Morgen tun, sendete also nichts. Um Viertel vor sieben kündigte das
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