Vogelfaenger
Piepen auf meinem Nachttisch SMS Nummer drei an:
Lass mich nicht wieder allein, verzeih mir, meld dich, fahr
nicht!
Ich, mittlerweile wach, tippte gähnend und mit verschlafenen Fingern eine Antwort:
Okay, verzeih dir, aber hab mich auf Urlaub gefreut. Danach Neuanfang? Wenn du willst.
Draußen sangen die Amseln. Rocky sprang auf mein Bett und leckte mein Gesicht ab. Ich streckte mich, ließ mich rücklings aufs Bett fallen und sagte zu Rocky: »Alles wird gut, Kleiner!« Und dann kam die vierte SMS:
Du machst einen großen Fehler, wenn du fährst und mich zum zweiten Mal im Stich lässt!
»Was glaubst du eigentlich, du Arschloch?!«, schrie ich, schleuderte das Handy aufs Bett und trat gegen den Nachttisch, wobei ich mir auch noch übel den Zeh stieß. Rocky nahm Reißaus, Malte kam rein, stand im kanariengelben Schlafanzug in der Tür, lachte, formte mit den Armen ein Maschinengewehr und tat so, als ballere er mich nieder.
6
An unserem letzten gemeinsamen Abend waren Tobias und ich auf einer Geburtstagsparty eingeladen, die in einem Bootshaus stattfand. Mein Freund hatte keine Lust hinzugehen, weil Dressman, der Gastgeber, seiner Meinung nach ein Angeber war, der den Segelclub nur ausgesucht hatte, um seine Freunde zu beeindrucken.
Was mich betraf, gelang ihm das durchaus: Das »Bootshaus« war alles andere als ein Lagerraum; es besaß im ersten Stock eine modern designte Bar,eingerichtet mit ultramarinblau schimmernder Theke aus Glasbausteinen und weißen Korbsesseln. An die ebenfalls weißen Wände wurden Videos von knallbunten Fischen in Korallenriffen gebeamt; es lief Salsamusik.
Tobias spontaner Kommentar war, wer solch einen Geschmack hätte, könne nur schwul sein. Er wollte sofort wieder gehen, aber ich hatte bereits Ida entdeckt. Sie steuerte mit einem Campari-Orange in der Hand auf mich zu, ließ mich, obwohl sie mich zwei Monate lang nicht gesehen hatte, wie selbstverständlich am Strohhalm nuckeln und fragte: »Du, hier? Super!« Sie lachte auf, warf die damals noch blonden Haare zurück, sodass ein großer Knutschfleck am Hals sichtbar wurde, hakte sich, skeptisch beäugt von ihren Freunden, bei mir ein und zog mich nach draußen auf die Veranda.
So gut Tobias und ich uns auch verstanden haben – vom Typ her sind wir ziemlich unterschiedlich. Während ich immer unter Leuten sein muss und mit jedem gleich ein Gespräch anfange, ist er ruhig, fast schüchtern und bleibt gern zu Hause. An diesem Abend hockte er sich drinnen zu einer Gruppe Mitschüler, die ihren Neid über das dicke Portemonnaie des Gastgebers mit Alkohol herunterspülten und mit ihren Zigaretten kleine Löcher in die Auflagen der Korbsessel brannten.
Ich unterhielt mich mit Ida draußen auf der Veranda, probierte auch einen Campari und dann alles, was farblich gut aussah und meinem Geschmack nach zu den bunten Lämpchen passte, die in einerLichterkette vom Dach herunterhingen und sich im Wasser des künstlich angelegten Sees spiegelten.
Die Idee, ins Wasser zu springen, kam gegen Mitternacht auf. Irgendein Möchtegernheld kletterte auf das Dach des Bootshauses, zog sich unter Zurufen der anderen Gäste bis auf die Boxershorts aus, warf ein paar Kusshände in unsere Richtung, nahm Anlauf und sprang mit einem weiten Satz vom Rand des Daches über die etwa einen Meter unter dem Dach hervorragende Veranda in den See. Da das alles andere als ungefährlich war, wurde er bejubelt und gefeiert. Es dauerte aber nicht lange, bis der nächste Kandidat bereitstand: ich.
»Das traust du dich?«, flüsterte Ida voll Bewunderung, als ich sie von ihrer Clique und einem jungen Mann wegzog, der offenbar auf sie stand und sie sicherlich lieber für sich gehabt hätte.
»Warum nicht? Mir ist heiß, ich hab auch Lust auf ein Bad und das macht bestimmt Laune«, entgegnete ich, erklomm das Dach, lief ein bisschen oben herum, checkte die Lage und verkündete den unten stehenden Jungs, ich würde jetzt als Nächste den Sprung wagen.
Sie machten ein paar witzige Bemerkungen, nahmen mich aber nicht ernst. Erst als ich Ida bat, niemanden aufs Dach zu lassen, und meine Turnschuhe abstreifte, wandten sich mir die Gesichter zu. Einige warnten mich und wollten mich zurückhalten. Idas Verehrer – ich glaube, er hieß Lars – knurrte mich böse an, weil er momentan für Ida abgeschrieben war. Alle Augen richteten sich jetztauf mich. Ich kümmerte mich kaum darum. Auch nicht um die Stimmen, die mich anfeuerten, weil ich mich zum Baden natürlich
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