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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Erling bei Andechs
Samstag, der 12. Juni Anno Domini 1666, abends
    Unter dunklen Gewitterwolken und mit einem saftigen Fluch auf den Lippen ging der Novize Coelestin seinem baldigen Tod entgegen.
    Drüben im Westen, jenseits des Ammersees, türmten sich schwarze Wirbel zu einem mächtigen Ungetüm, erste Blitze zuckten, und von fern war leises Donnern zu hören. Wenn Coelestin die Augen zusammenkniff, konnte er über der fünf Meilen entfernten Dießener Kloster ­kirche bereits graue Regenschwaden erkennen. Es mochte sich nur noch um Minuten handeln, bis das Gewitter über dem Heiligen Berg war, und ausgerechnet jetzt sollte er dem fetten Apothekermönch zum Abendessen ­einen Karpfen aus dem Klosterweiher fischen. Coelestin fluchte ein weiteres Mal und zog die Kapuze seiner schwarzen Kutte tief ins Gesicht. Was sollte er machen? Gehorsam war eines der drei Gelübde der Benediktinermönche, und Frater Johannes war nun mal sein Vorgesetzter. Ein gelegentlich cholerischer, oft rätselhafter und vor allem gefräßiger Laienbruder, aber trotzdem sein Vorgesetzter.
    »Porca miseria!«
    Wie so oft, wenn er schlechte Laune hatte, wechselte Coe­le­stin in die Sprache seiner Eltern. Er war in einem italienischen Gebirgsdorf jenseits der Alpen aufgewachsen, doch die Wirren des Krieges hatten aus seinem Vater einen Söldner und aus seiner Mutter eine Marketenderin und Hure gemacht. Hier im Kloster am Heiligen Berg hatte ­Coelestin in der Andechser Klosterapotheke eine Heimat gefunden, und auch wenn ihm die ewigen Litaneien und die nächtlichen Gebete gelegentlich auf die Nerven gingen, fühlte er sich doch geborgen. Er bekam dreimal täglich reichlich zu essen, hatte eine warme, trockene Schlafstatt, und das Andechser Bier galt als eines der besten im ganzen bayerischen Kurfürstentum. Man konnte es in diesen schweren Zeiten wahrlich schlim­mer treffen. Trotzdem schimpfte der spindeldürre klei­ ne Novize leise vor sich hin, und das hatte nicht nur mit der Tatsache zu tun, dass er bald ebenso nass sein würde wie die Karpfen im Erlinger Klosterweiher.
    Coelestin hatte Angst.
    Seitdem er vor drei Tagen diese Entdeckung gemacht hatte, nagte die Furcht an ihm wie ein kleines tollwütiges Tier. Der Anblick war so entsetzlich gewesen, dass ihm beinahe das Blut in den Adern gefror. Noch immer verfolgte ihn das Gesehene in seinen Träumen, und dann wachte er schreiend und schweißüberströmt auf. Einen derartigen Frevel würde Gott nicht unbestraft lassen, so viel war sicher. Die düsteren Wolken, die Blitze am Himmel erschienen Coelestin wie erste Vorboten einer alttestamentarischen Rache, die schon bald über das Kloster kommen würde.
    Noch bedrohlicher als die Ketzerei waren allerdings die hasserfüllten Blicke des Mannes. Er hatte Coelestin bei dessen überstürzter Flucht erkannt, zumindest glaubte der Novize das. Die Blicke des Ertappten sagten mehr als tausend Worte. In den letzten Tagen hatten sie ihn wie mit langen Fingern abgetastet, so als wollten sie prüfen, ob Coelestin das Geheimnis verriet.
    Coelestin wusste, dass der andere mächtige Fürsprecher hatte. Würde man ihm, dem kleinen Novizen, glauben? Der Vorwurf war so ungeheuerlich, dass er Gefahr lief, für verrückt erklärt zu werden. Oder, was noch ärger wäre, fortan als Rufmörder zu gelten. Das schöne Leben mit Fleisch, Bier und warmer, trockener Schlafstatt wäre dann vermutlich für immer vorbei.
    Trotzdem hatte Coelestin beschlossen zu reden. Gleich morgen würde er dem Klosterrat melden, was er gesehen hatte, und sein Gewissen wäre endlich wieder rein.
    Ein mächtiger Donner rollte über das Land, und der fröstelnde Novize spürte erste kühle Regentropfen im Gesicht. Er raffte seine Kutte und beschleunigte seine Schritte. Schon bald hatte er die letzten Häuser von Erling hinter sich ge­lassen. Felder und Weiden breiteten sich vor ihm aus, hinter einem kleinen Waldstück, umgeben von Zäunen und Buschwerk, lag der Karpfenweiher. Als Coelestin sich umdrehte, sah er über sich auf dem Berg, überragt von dunklen Gewitterwolken, das Kloster stehen – sein Zuhause, das er vielleicht schon bald würde verlassen müssen. Er seufzte und schlurfte die letzten Meter zum Weiher wie zu seiner eigenen Hinrichtung.
    Mittlerweile fielen die Tropfen immer schneller vom Himmel, die Oberfläche des Teichs brodelte wie eine giftige Brühe. Coelestin sah die fetten grauen Leiber der Karpfen, die sich zu Dutzenden in dem trüben Wasser wanden. Ihre hungrigen

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