Vogelfaenger
Schritt voraus. Umso größer und schöner wird die Überraschung sein, die er ihr bereiten wird. Schön, für ihn.
Jetzt duckt er sich in seinem Versteck, obwohl er weiß, dass es übertriebene Vorsicht ist. Niemand ahnt, dass er da ist, und der Einzige, der es doch weiß, Ferdinand Rotter, wird es nicht weitersagen. Der Vogelfänger hat einen der wenigen Momente in der Woche abgepasst, in denen der Alte noch auf seinem Campingplatz vorbeischaut. Er hat bar bezahlt und einen falschen Namen genannt. Da er gleich hinzufügte, er brauche keine Quittung, hat Rotter auch darauf verzichtet, ihn in die Gästeliste einzutragen.
Der Chef des Vogelfängers hätte das nie getan. In solchen Dingen war er immer korrekt und wurde noch korrekter, nachdem der furchtbare Vorfall mit dem Köder passiert war. Polizei und Öffentlichkeit hatten zwar nicht herausgefunden, wer in wessen Auftrag das vergiftete Fleisch aufs Feld gelegt hatte – Umweltsünder und gewissenlose Jäger gab es schließlich viele – , aber die Angst, dass es eines Tages doch ans Licht kommen könnte, saß dem Chef nun im Nacken.
Der Vogelfänger löst sich langsam von dem Baum, hinter dessen Stamm er gestanden hat. Sein Täubchen und die dumme Gans, die neuerdings ihre Freundin ist, diese fette, freche Schlampe, die ihn schon mal geärgert hat, sind mit dem Tölpel, der nicht mal vernünftig eine Wand anstreichen kann, aus seinem Blickfeld verschwunden. Nun stehen nur noch die beiden Sportskanonen da, vertilgen billiges Wassereis aus Tüten, schlecken und schmatzen und reden über die Mädchen. Dass sie sich
über deren Ankunft freuen, gefällt ihm gar nicht. Er wird nicht zulassen, dass ihm jemand in die Quere kommt.
9
Der Campingplatz ist eine weitläufige, leicht abschüssige Wiese am Flussufer. Für die Zelte sind terrassenartige Plätze angelegt, die teilweise mit Büschen und kleinen Mäuerchen begrenzt sind. Es gibt einen kleinen Kiesstrand, ein Waschhaus und einen Aufenthaltsraum mit Billardtisch und Tischtennisplatte.
Während die Radfahrer, die offenbar gerade von einer anstrengenden Tour zurückgekehrt sind, uns nur kurz zunicken und verschmitzt »Herzlich willkommen« sagen, hilft Jan uns wie versprochen dabei, die Taschen zu tragen. Er ist guter Laune, zeigt und erklärt uns alles, will wissen, wie wir heißen, wie alt wir sind, wo wir herkommen und wie die Fahrt war. Lauter blöde Fragen, findet Ida wohl, denn sie beantwortet kaum eine davon und überlässt die ganze Konversation mir. Hab nichts dagegen, denn Jans sprudelnde Lebendigkeit steckt an und passt gut zu meiner.
Als Stellplatz für unser Zelt wählen wir schließlich eine Wiesenterrasse ziemlich nah am Ufer. Dort haben wir ein paar dicke Steine, auf denen wir unsere Kochstelle errichten wollen, zwei hohe Tannen, die etwas Schatten spenden, und genug Platz biszum Nachbarn, einem Wohnmobil, in dem eine Familie wohnt.
»Hier sitzt ihr aber wie auf dem Präsentierteller«, gibt Jan zu bedenken.
»Dürften wir das vielleicht allein entscheiden?«, fragt Ida schroff.
»Natürlich.« Er hebt die Hände und weicht einen Schritt zurück. »Ich will mich nicht einmischen.«
»Dann vielen Dank für die Hilfe und noch ’nen schönen Tag«, sagt Ida wieder sehr knapp.
Ich füge etwas milder hinzu: »Nimm’s nicht persönlich. Sie ist ihren nervigen Papa gerade los und will erst mal ihre Ruhe.«
»Kein Problem, kann ich verstehen. Meine Mutter klebt auch wie eine Klette an mir. Ich kann sie nicht davon abhalten, jeden Tag zum Wohnwagen zu kommen und mir meine Portion vom Mittagessen vorbeizubringen.« Er lacht kopfschüttelnd. »Ach, übrigens, ich hab hier einen Wohnwagen. Wenn ihr mal vorbeikommen wollt und …«
»… das Mittagessen deiner Mama probieren?«, fragt Ida.
Ich muss lachen und halte mir die Hand vor den Mund. Aber Jan scheint sich nicht darüber zu ärgern, dass sie ihn veräppelt, er lacht einfach mit.
»Nee, da lade ich euch lieber zu McDonald’s ein.«
»Pfui Deifel«, faucht Ida und ich biege mich vor Lachen.
»Ihr Vater ist ein Fernsehkoch«, erkläre ich Jan.
»Ah, okay, ich lasse heute auch kein Fettnäpfchen aus, was? Ehrlich gesagt mag ich das Zeug auchnicht sonderlich. Aber dass du kein normaler Camper bist, das merkt man sofort. Schon dein Name: Ida Paloma Victoria von Bärlauch – wow! Echte Prinzessin, was?«
Jetzt sagt Ida nichts mehr, aber ich habe immer noch meinen Spaß.
»Wir sind beide Prinzessinnen«, rufe ich übermütig. »Mein Vater
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