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Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen

Titel: Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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sich für einen Sinn des Lebens entschieden, schon waren die Anforderungen an ein solches Leben wieder radikalsten Veränderungen unterzogen worden, und man stand da, mit der Unterhose auf dem Balkon und trank lauwarmen Kaffee in einem lauwarmen Leben und fragte sich: Hä? Das Leben, das man sich vorstellt, kann doch nicht von solch erschreckender Banalität sein, oder? Die Daten und Fakten, die mein Leben über mich schreibt, sind von eindeutiger Präsenz. Meine Optik, meine unabgebrochene Lebenszeit. Von Gefühlen, die mich ausmachen, ist dabei nicht die Rede. Aber von Gefühlen sollte die Rede sein, von Gefühlen, die jeden Widerspruch in sich tragen und genau diesen Umstand als Genuss empfinden.
    Stünde man vor mir und wollte man mich beschreiben, könnte man Folgendes berichten: männlich, aber mit androgyner Ausstrahlung (die Haare, die Haut, ich weiß es doch auch nicht ...), fünfunddreißig Jahre alt, alleinstehend. Leicht gebückte Haltung; irgendwie ist das so, weil der Rücken sich von selbst krümmt, sobald die Konfrontation mit der Welt kommt, die fortwährend Dinge verlangt und wissen will, die dieser Rücken tragen soll. Deswegen ist er leicht schief, dieser Rücken, etwas nach vorn gebeugt der ganze Mensch, der ich bin.
    Ich bin immer irgendwie woanders als dieses rote Kreuz auf der Landkarte, neben dem immer «Dies ist ihr Standort» steht. Allein das Wort alleinstehend ist eine Farce, wie ich finde. Ich habe keine Partnerin, aber ich finde Liebe im Leben, so mir das Leben Angebote macht. Die Abwesenheit einer Frau an meiner Seite stürzt mich nicht in abgrundtiefe Traurigkeit, lässt aber einen Hauch Melancholie mitschwingen.
    Gut, es gab Frauen, aber sie fluteten durch mein Leben, tranken aus der Quelle meiner Leidenschaft und zogen dann weiter, andere Gefilde und Gefühle zu erforschen. Für das langfristige An-mich-Binden bin ich wohl nicht interessant genug. Meinen Selbstwert zu definieren fand ich immer schwierig. Ich war schon immer irgendein unfertiges Ding, weil ich mit Erwartungen konfrontiert war, die ich weder erfüllen noch einordnen konnte. Ich fühlte mich bereits in jungen Jahren wie eine nicht ganz gelungene Erfindung. Perfektionismus kommt später, dachte ich immer und wartete und versuchte und scheiterte schweigend und versuchte weiter und scheiterte auf höherem Niveau und war dann plötzlich dieses überromantisierte Wesen, das aus Versuchen und Scheitern zu bestehen scheint. Irgendwo zwischen Exklusiv und Durchschnitt, Olymp und Gosse, Misanthropie und Philanthropie, Heute und Morgen, Glanz und Dreck, Fiktion und Realität, Hochbegabung und Unfähigkeit. Ich bin ein Ausfüller der unaufgeräumten Zwischenräume. Hochseilautist.
    Den Erwartungen meiner Eltern entsprach ich in keiner, manchmal nur in geringer Weise, aber was sind das auch für Eltern, die Töchter und Söhne in die Welt werfen und diese mit Erwartungen vollpumpen, die immer wieder an Unerfüllbarkeit scheitern. Ich bin Einzelkind, das heißt auch, dass die Gewehre der Erwartungen meines Elternhauses nur auf mich zielten. Schulbildung, Berufsausbildung und dann doch irgendwo gelandet, wo man mich fast in Ruhe lässt.
    Ich war Buchhändler. Ich arbeitete in so einem kleinen Buchladen, der zu einer lokalen Kette gehörte. Als Teil dieser Kette war ich dort zuständig dafür, dass der Laden profitabel blieb. Und als Teil einer Kette war man nichts Besonderes, war man ein Stück von vielen, und Kettenglieder sind auch nur umrandete Löcher. Auch dieser Laden war ein Loch, der manchmal wie eine Falle wirkte, in die ich wie ein tollpatschiger, orientierungsloser Bär geraten war.
    Gelesen wurde ja immer, auch wenn sich die Leute Literatur in die Köpfe klopften, die ihnen nicht guttat, und bevor sie das merkten, hatten sie wieder einen Bestseller bestellt und unkritisch verschlungen. Lecker, Bestseller, dachten sich die Leute dann, und die Medien, von denen die Leute den Hinweis hatten, dachten: Hahaha, wieder ein Opfer, und ich dachte mir: Irgendwo dazwischen muss doch was sein, was wie Wahrheit aussieht und wo es wie zu Hause riecht.
    Der Wind tat gut, heute war Tocotronic-Wetter und das passte zur Ausdrucksweise dieses Tages. Manche Tage sprechen nicht, aber jene, die bereits mit Tocotronic-Wetter beginnen, erzählen stundenlang Geschichten über das kleine Leben, das man sich in die Tasche stecken kann.
    Ich ging rein, die Kaffeetasse aufzufüllen, und kam an meinem CD-Schrank vorbei. Das Leben sei ohne Musik ein

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