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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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bleiben? Wurscht, was dann passierte?
    Dann hörte den Zug hupen. Er war schon ganz nah.
    Nein. Neinnein. Seine Schwester durfte den Zug einfach nicht verpassen. Wenn sie es tat, würde sich garantiert irgendeine Interpretation finden lassen, die ihm die Schuld dafür in seine durchfallbraunen, hinten aufgeschnittenen Hausschuhe, denen er eine halbe Ferse hinterherlief, schob. Suchanek kehrte alle Kraft, die noch irgendwo in seinem muskelabstinenten Körper zu finden war, in den letzten Winkeln seiner Lianenwaden, in den Zuckerwatteoberschenkeln, wo auch immer, auf ein Häufchen zusammen. Ein kleines. Aber immerhin. Schneller, Suchanek. Schneller. Noch schneller!
    Also gut. Dann zumindest weiter. Hauptsache, weiter.
    Vor ihm war jetzt der Bahnübergang. Noch zehn Meter. Von rechts schob sich der Zug ins flimmernde Bild und bimmelte ungläubig. Hinter ihm, jetzt schon ganz dicht hinter ihm, brüllte Gregor: «Du Aaaaaaarschloch!»
    Was hatte der eigentlich noch mal dagegen, dass Suchaneks Schwester den Zug erwischte?
    Jetzt war Suchanek vor den Gleisen. Aus seinem rechten Augenwinkel heraus schaute er dem Zug direkt ins Gesicht. Der Zug verzog keine Miene. Suchanek vermutlich schon.
    Metallisches Kreischen, Quietschen, Funkensprühen. Suchaneks letzter Schritt. Nein. Ein Sprung. Ein dumpfer Schlag.
    Und dann schwarz.
    Alles.

[zur Inhaltsübersicht]
22
    Ein helles Licht.
    Suchanek lag auf dem Rücken. Er hatte die Augen geschlossen. Aber trotzdem konnte er es deutlich sehen. Jetzt kam dann wohl gleich die Sache mit dem Tunnel. Also durchgehen, auf das Licht zu, sich angenehm warm umwogt fühlen, wie im Fruchtwasser schwimmend, und spüren, nein, wissen: das ist jetzt gut und richtig so.
    War die außerkörperliche Erfahrung normalerweise eigentlich vorher oder nachher? Das Herumfliegen und Sich-selbst-blutig-da-liegen-Sehen, während die Susi heulend neben einem kniete und hysterisch brüllte: «Einen Arzt! Wir brauchen sofort einen Arzt!» Und die dann, weil klarerweise keiner da war, wie denn auch, der sogenannte Gemeindearzt saß ja wie alles andere, das man zumindest ab und zu brauchen konnte, drei Kilometer entfernt bei den Bernhardsäuen, begann mit der Faust auf sein Brustbein einzudreschen und ihm die abgebissene Zunge und die zersplitterten Zähne aus dem Mund zu räumen und ebenso hilf- wie sinnlos Luft hineinzublasen?
    Mist.
    Der Film. Der kam ja auch noch.
    Er hasste Biopics sowieso schon. Aber jetzt, am Ende dieses wirklichen Scheißtages, auch noch «Das Leben des Suchanek»? Director’s Cut? Wobei, es hieß ja immer, dass man den Film im Schnelldurchlauf sah. Wenigstens etwas.
    Suchanek öffnete die Augen einen winzigen Spalt und schaute blinzelnd in das Licht. Das war nicht warm und angenehm. Das war grell und gleißend. Und es tat weh.
    Dann schob sich ein riesiger, kantiger Schatten, der an einem Ende ausfranste wie ein Malerpinsel, über die Sonne.
    «Tut mir leid», schnaufte es aus dem Kopf von Kommissar Wimmer. «Nachdem mich der Herr Hiefler angerufen hat, bin ich so schnell gekommen, wie ich konnte. Alles in Ordnung mit Ihnen?»
    Suchanek setzte sich auf und schaute sich verwundert um.
    «Langsam», mahnte Wimmer. «Sie waren eine ganze Weile bewusstlos.»
    Der Zug war zum Stehen gekommen, und ein dunkelgrüner Waggon, auf dem in goldener Schnörkelschrift «Salonwagen» stand, blockierte den Bahnübergang. Aus jedem seiner Fenster hingen mehrere Gesichter der «Bernhardsauer Schienenfreunde e.V.». Sie wirkten durchaus schockiert. Und das, obwohl sie ja in die falsche Richtung schauten.
    Denn wenn sie in die richtige geschaut hätten, also nicht in die vom Suchanek, dann hätten sie gesehen, dass der Zug nicht nur den Suchanek und den Mantler Gregor voneinander getrennt hatte. Sondern auch die obere Hälfte vom Gregor von der unteren. Die untere lag auf der Straße. Die obere hing irgendwo unter der Lok. Und auf den dreißig Metern dazwischen lag auch noch so einiges.
    Suchanek sah an sich herab. Die Hände waren tief aufgeschürft, sein Hemd bei der Brust aufgerissen und blutig, das linke Knie ragte zerschrammt aus der Hose heraus. Gut. Jetzt hatte er es geschafft. Nach den Verletzungen vom Überfall und vom Match und denen hier war er jetzt wohl endgültig ein Pflegefall. Er konnte sich endlich seinen innigsten Berufswunsch erfüllen und in die Invaliditätsrente gehen. Der Kopf tat ihm auch höllisch weh. Er war bei seinem Sprung mit dem Andreaskreuz kollidiert. Und so ein Andreaskreuz

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