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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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dieser Dackel jetzt Fritzi. Oder Franzi. Ferdi. Fredi?
    «Ja, hallo!», sagte Suchanek in selten bescheuertem Kleinkindertonfall, als er nach endlich erfolgter Abfahrt seiner Eltern das heimische Gartentor aufsperrte. Im Sinne einer frühzeitigen Deeskalation hätte es sich jetzt doch als günstig erwiesen, den Namen des Hundes noch zu wissen.
    «Hallo … Hund.»
    Der Dackel saß regungslos vor dem Rhododendron, schaute Suchanek eisig an und schwieg. Suchanek pirschte sich näher heran, ging dann artenverbindend in die Knie und streckte ihm so einladend wie möglich die Hand entgegen.
    «Ich bin ein Freund. Freuuund!», gurrte er.
    Unbeteiligte Beobachter hätten womöglich nicht gänzlich ausgeschlossen, dass der Hund das anders sah. Suchanek trat den geordneten Rückzug an, ohne dem Köter den Rücken zuzuwenden. Er parkte das Auto vor der Garage, schrieb auf ein zerknittertes Kuvert, das er unter dem Beifahrersitz gefunden hatte, «Glocke kaputt», befestigte es einigermaßen elegant unter dem Klingelknopf und versperrte dann, um das Risiko überraschenden Sozialkontakts gänzlich auf null zu senken, das Gartentor. Dann versuchte er eine weitere kynologische Kontaktaufnahme.
    «Na komm, gehen wir rein. Wie wär’s mit Futter? Faschierte Schweinsknorpel in stinkendem gestocktem Fett? Dafür aber mit einem tollen französischen Namen? Na?»
    Der Hund rührte sich nicht. Suchanek ging die Stufen hoch und sperrte die Tür auf, wobei er beim ersten Schloss schon mit dem dritten der elf Schlüssel, die ihm sein Vater beim Bus wortlos in die Hand gedrückt hatte, erfolgreich war, während es bei den beiden anderen etwas länger dauerte. Im Haus ging er sofort die nächste Treppe hinauf in den ersten Stock, in dem das Schlafzimmer seiner Eltern war. Er zog sich Schuhe und Jacke aus, fiel aufs Bett und war nach sekundenlangem Nachdenken, auf wessen Seite er jetzt wohl lag, eingeschlafen.

[zur Inhaltsübersicht]
2
    Auf dem Spülkasten am Klo klebte ein Zettel: «Kleines Geschäft – kleine Taste!»
    Neben dem Waschbecken war auch einer: «Nach Gebrauch immer auswischen!»
    Und den dritten fand Suchanek in der Brotdose: «Zuerst das alte Brot essen!»
    Suchaneks Eltern hatten immer schon ziemlich konkrete Vorstellungen über die Trennlinie zwischen Richtig und Falsch gehabt. Auf welcher Seite sie ihn sahen, war klar.
    Suchanek hatte sieben Stunden geschlafen und gleich nach dem Aufstehen den riesenhaften Topf mit dem Krautfleisch, das seine Mutter für ihn vorgekocht hatte, gewärmt. Auch weil der Zettel, auf dem «Nicht immer das ganze Krautfleisch wärmen» stand, von ihm aus gesehen an der Hinterseite des Topfes pickte. Im Haus seiner Eltern hatte sich in den fünfzehn Jahren, seit Suchanek ausgezogen war, einiges verändert. Natürlich war er seither immer wieder einmal zu Besuch gekommen, wenn er durch widrige Umstände wie runde Geburtstage, Weihnachten oder die Überziehung seines Überziehungsrahmens dazu gezwungen worden war. Aber da hatte er stets nur mit hochkonzentriertem Tunnelblick darauf gewartet, dass die Zeit verging. Also fiel ihm erst jetzt so richtig auf, dass die Einrichtung von früher nicht mehr da war. Seine Mutter hielt sich ja für eine innen wie außen gleichermaßen hochbegabte Architektin – und dies war keineswegs der einzige etwas strittige Punkt in ihrer Selbsteinschätzung –, die nur aus einem einzigen Grund in die Karriere einer Versicherungs-Schadensreferentin gerutscht war: «Man hat halt damals nicht so die Möglichkeit gehabt.»
    Sein altes Zimmer, die einzigen sechs Quadratmeter in seinem Leben, in denen er sich jemals annähernd zu Hause gefühlt hatte, war jetzt ein Klo. Das zweite im Haus. Nicht, dass es jemand gebraucht hätte. Aber was seine Mutter ganz offensichtlich noch weniger brauchen konnte, war ein Museum des Scheiterns. Also ein im Originalzustand belassenes Kinderzimmer, das sie ständig daran erinnerte, wie nachhaltig sich sämtliche tollen Pläne, die sie für seinen früheren Bewohner gehabt hatte, in Luft aufgelöst hatten. Suchanek hielt es allerdings eher nicht für nötig, sich an die neue Einrichtung groß zu gewöhnen. Es würde sicher bald eine noch geschmackvollere Ära in der ruhmreichen Historie der mit Holzimitat beschichteten Pressspanplatte anbrechen. Und auch die Teilnahme an dieser würde seine Mutter garantiert nicht verpassen.
    Nach dem Essen stellte er einigermaßen beunruhigt fest, dass er jetzt gute zehneinhalb Stunden nichts zu sich genommen

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