voll im Einsatz
schön«, meint Aua. »Aber hast du gesehen, wer noch hier ist?«
»Nein«, antworte ich.
Es sind unendlich viele Leute hier. Wen meint er?
»Der Kerl aus der Klasse deiner Schwester!«
»Dieser Miesling Daniel?«
Aua nickt. Aber er sieht zum Glück nicht mehr so ängstlich aus wie noch gestern.
Trotzdem beeile ich mich, ihm zu versichern, dass er sich absolut keine Sorgen zu machen braucht. Daniel kann ihm hier nichts tun.
»Ich weiß«, meint Aua fest und sieht dabei merkwürdig entschlossen aus. »Hör zu! Ich hab gerade eben ein bisschen nachgedacht.«
Und das tue ich. Ich höre ihm zu. Und – Mannomann! – der Aua, der hier jetzt gerade vor mir steht, ist so ein total anderer Aua als der, der in der Schule neben mir gesessen hat. Einfach irre!
Ich höre ihm zu, bis er zu Ende geredet hat. Und ich muss sagen, das ist kein schlechter Plan. Das ist sogar überhaupt kein schlechter Plan! Der hätte glatt von James Bond sein können! (Oder von mir!)
»Meinst du, du schaffst das?«, fragt Aua.
Ob ich das schaffe?
Fischeierleicht! Was glaubt der eigentlich, wofür ich jeden Tag so wellenbrecherhart trainiere?
Es gibt Momente, da weiß man nicht genau, warum man etwas tut. Aber man weiß genau, dass man es unbedingt tun WILL!
I ch bin den ganzen Weg gerannt. Zum einen, weil ich mich natürlich beeilen wollte. Zum anderen, weil ich Angst hatte, dass ich, wenn ich stehen bleibe, nur wieder anfange nachzudenken und dann womöglich doch nicht tue, was ich eigentlich tun will. Jetzt bin ich vor seinem Haus. Mit klopfendem Herzen. Es ist doch richtig, dass ich hier stehe?
Mein Verstand sagt mir natürlich, dass es nicht richtig sein kann . Weil ich wirklich nicht den kleinsten Grund habe, auch noch hierherzukommen. Aber mein Gefühl – mein Gefühl sagt mir, dass es richtig ist.
Oh, ja, mein Herz schlägt so stark und so eindeutig und … alles scheint plötzlich einfach zu stimmen. Ich stimme wieder, mein Gefühl stimmt wieder, alles stimmt.
Aber wie kann es das, wenn doch die Fakten ganz klar das völlige Gegenteil sagen?
Egal, ich grübele darüber nicht länger nach. Es IST einfach richtig, hier zu sein. Ich werde jetzt klingeln. Und was auch immer dann passieren wird, jawohl, es IST richtig.
Ich hebe meine Hand, um den Klingelknopf zu betätigen – da wird mit einem Riesenschwung die Tür von innen aufgerissen. Er steht direkt vor mir!
Mindestens eine Minute starren wir uns sprachlos an. Seine Haare sind verwuschelt, seine Jacke erst halb übergestreift, die Schuhbänder seiner Turnschuhe noch offen. Anscheinend hat er es sehr eilig. Trotzdem steht er jetzt hier vor mir und bewegt sich plötzlich keinen Millimeter mehr.
»Hallo«, sagt er schließlich.
»Hallo«, antworte ich.
Meine Stimme klingt so leise, dass ich mich lieber schnell mal räuspere. Dann fällt mir ein, dass ich ja diejenige bin, die hierhergekommen ist. Also sollte wohl auch ich etwas sagen. Aber jetzt, wo ich ihm gegenüberstehe, fällt mir kein Wort mehr ein.
Eigentlich ist mir vorher schon kein Wort eingefallen, ich habe gar nicht darüber nachgedacht, was ich sagen wollte. Ich bin nur einfach meinem Gefühl nachgegangen. Oder vielmehr gerannt. Bis hierher.
»Ich dachte, ich hole dich ab«, sage ich. Dann deute ich auf die offenen Turnschuhe. »Aber du wolltest gerade weg?«
»Ja«, sagt Gregory, »ich dachte, ich komme doch mit.«
»Ah …« Ich glaube, ich lächele.
Da lächelt auch Gregory ein winziges bisschen.
Dabei müsste ich jetzt so viel sagen. Ihm Vorwürfe machen. Ihn zwingen, sich zu entschuldigen.
Aber ich bleibe still.
»Wir sollten wohl mal reden, Livi«, sagt Gregory. Doch mehr sagt auch er nicht.
Ich nicke. »Aber nicht jetzt. Wir verpassen die Vorstellung. Los, komm!«
Und dann ziehe ich ihn einfach mit und wir laufen den ganzen Weg zurück in die Stadt, bis wir atemlos beim Zirkusgelände wieder ankommen.
Natürlich sind schon alle Leute im Zelt drin, draußen ist es jetzt menschenleer. Nur ein etwas jüngerer Junge spaziert mit einem Hut in der Hand durch die Gegend, in dem er anscheinend Geld von den Zuschauern gesammelt hat. Dass Geld drin ist, kann man hören, weil er dauernd damit rumklimpert. Er geht sehr langsam über den Platz und klimpert und klimpert. Ich bleibe einen Moment verwundert stehen. Ist das nicht der Junge, der am Dienstag zwischen den Mülltonnen gehockt hat, während ich fröhlich am Kotzen war?
Klar, das ist er!
»Warte mal, Gregory«, bitte ich, »das ist der Junge,
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