Vom Aussteigen und Ankommen
›Bio‹. Geschlossene Kreisläufe. Magst du denn das?«
Meine wesentlichen beiden Erkenntnisse sind »Nicht-Erkenntnisse«. Sie sind aber vielleicht gar nicht so trivial, wie sie klingen.
Erstens: Es war gar nicht so schlimm. Wer weiß, was noch alles auf uns zukommt und ob die Untergangspropheten mit ihrem Peak-Oil wirklich recht haben werden oder uns am Ende nicht doch die Ingenieure mit wunderbaren Windrädern vor dem Zivilisationskollaps retten und ob Multikulti nicht doch weiter funktioniert. Es war gar nicht so schlimm. Alternative Lebensformen haben auch Vorteile, und vielleicht funktionieren sie ja auch mal für mehr Menschen als bisher.
Zweitens: Es war nie langweilig.
Durch die Begegnung mit den Menschen, die auf Netz und doppelten Boden verzichten, geht es mir zudem so, dass ich kaum einer Sicherheit mehr traue. Das war früher anders. Es hat mich angesteckt. Ich glaube, jetzt ist es besser.
Und waren die Leute wirklich glücklich? Wahrscheinlich ist die Frage schon falsch. Glück ist so flutschig wie ein Aal. Und niemand kann es machen . Wer das Gegenteil behauptet, dessen Verständnis von Glück teile ich nicht, denn die Kehrseite des Glücks ist vielleicht die Tragik, die beiden scheinen miteinander rätselhaft verbunden zu sein. Beide sind häufiger bei den Lebendigen zu finden und selten bei den lebenden Toten, die ich am Anfang meiner Reise »Bürger« genannt habe. Zwar empfand ich die Lebenssituationen einzelner Aussteiger als durchaus tra gisch. Sie sind aber dafür vielleicht auch manchmal glücklich. Weil man Glück nur empfangen kann. Und wer sich absichert, hat oft Empfangsstörungen.
Wenn jemand aber ein Lebensmodell als Schlüssel zum Glück verkauft, kann das nur Hochstapelei sein.
Gelegentlich machte es mir Bauchschmerzen, wenn ich beim Schreiben dachte: Beschwörst du eine neue Radikalendämmerung herauf? Die gibt es tatsächlich nur an den Rändern der Gesellschaft. Aber es gibt nicht wenige Aussteiger und meinem Eindruck nach sehr viele Menschen, die mit dem Gedanken an ein einfaches, selbstbestimmteres Leben sympathisieren. Die de mografischen Umwälzungen in Deutschland und der Welt, der relative Abstieg der Alten Welt, die atomisierte Gesellschaft, vielleicht auch orientierungslose Eliten – es wäre beruhigend zu wissen, dass wir nicht in neue »zwanziger Jahre« steuern.
Foucault reiste im Rucksack mit. Getreu seiner philosophischen Weisung habe ich mir angehört, was Leute, die ja gewissermaßen Narrenfreiheit genießen, zu erzählen haben. Vielleicht waren in dem Bauchladen, den ich von der Reise mitgebracht habe, auch für den einen oder anderen Leser interessante Gedanken im Angebot. Ich habe mir auch das gemerkt: Wir haben keinen Begriff mehr von einer nichtmateriellen Realität. Wir sprechen zu wenig als Menschen zu Menschen, und die Rollenspiele kosten Energie und sind sicher der größere Quell für Entfremdung als Betonfassaden. Und wir haben keine Utopie mehr, und – zwanziger Jahre hin oder her – das ist nicht gut.
Gelegentlich hatte ich auf meiner Reise aber ebenso den Eindruck, dass es nicht gut sein muss, wenn viele an einem Ort zusammenkommen, um Gutes zu tun. Der Lehrer Ernstheinrich Meyer-Stiens hat dazu etwas Erhellendes geschrieben:
Utopische Sozialisten (…) wollen in der Regel wahrhaftig nichts Böses. Sie wollen wie alle Idealisten immer das Gute. Aber sie wollen nur allzu leicht des Guten zu viel und oft nur das Beste. Und damit fängt das Dilemma des utopischen Sozialismus an: Man überfordert sich und andere auf dem schwierigen Weg vom Wollen zur Wirklichkeit, wenn man den Sieg des Nur-Menschenfreundlichen erwartet. Das ist die Schwachstelle aller utopischen Sozialisten und Idealisten. Denn wenn man sich nicht mehr den Bedingungen der Lebensrealitäten aussetzt, ist man – mag einer einen noch so guten Willen haben – immer schon »auf dem Sprung, ins Böse umzuschlagen« (G. F. Hegel in seiner »Philosophie des Rechts«).
Vor zwanzig Jahren sagte Richard von Weizsäcker einmal: »Man hat den Sozialismus als feindlichen Zwillingsbruder des Kapitalismus bezeichnet. Warum sollte der Realist nicht im Utopisten seinen wahren Helfer erkennen?«
Richard von Weizsäcker! So etwas finden Bürgerliche gut. Wer oder was sind die jetzt? Der Gaukler im Odenwald hatte auch recht: Das sind Menschen mit prinzipiellem Interesse an anderen Auffassungen, Zuhörer mit grundsätzlicher Sympathie für alternative Sichtweisen. Dafür habe ich wiederum eine
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