Vom Daemon verweht
durfte ich auf keinen Fall voreilig in Panik ausbrechen. »Dermott Sinclair?«
Noch immer keine Antwort, und die Angst stieg mir schon in die Kehle, als ich plötzlich sah, wie ein untersetzter, glatzköpfiger Mann – er hatte sich zuvor als Edmund Morrison gemeldet –, auf seinem Sitz unruhig hin und her rutschte. Neben ihm saß ein spindeldürrer Kerl und starrte regungslos aus dem Fenster. Morrison stieß den Ellbogen in den Brustkasten seines Nachbarn. Der Dürre wandte sich daraufhin heftig um und sah ihn aus zornigen Augen an.
Eine Bestätigung seines Namens war nicht mehr nötig. Das Skelett war Dermott Sinclair. Und er war ein Dämon. Darauf konnte ich wetten. Nicht nur Geld, sondern mein Leben. Aber genau das würde ich bei dieser Sache ohnehin aufs Spiel setzen.
Diskretion mag vielleicht ein wichtiger Bestandteil gesellschaftlicher Manieren sein, aber sie kann auch verdammt hinderlich wirken. Ich befand mich in einem Bus voller Senioren, einer Elternbeirats-Hexe, dem Fahrer, einer Schwester und möglicherweise einem Dämon. Ich sollte gleichzeitig für die Sicherheit der Mitreisenden garantieren, meine geheime Identität nicht preisgeben und Sinclairs dämonischen Kern eindeutig identifizieren. Sie werden mir hoffentlich vergeben, wenn ich zugebe, dass ich ziemlich gestresst war.
Ich fühlte mich außerdem unfähig, etwas Sinnvolles zu machen. Eigentlich wollte ich meine Aufgabe erledigen, ehe wir die Schule erreichten. Weihwasser hatte ich dabei. Aber wenn ich das benutzte, würde Sinclair wild um sich schlagen – entweder vor Zorn oder vor Schmerzen. Carl würde daraufhin vielleicht die Kontrolle über den Bus verlieren, und wir würden allesamt irgendwo die pazifische Steilküste hinabstürzen. Ich würde tot sein. Und was noch schlimmer war: Ich würde nicht rechtzeitig zum Familientag kommen.
Diese Lösung fiel also flach.
Das bedeutete, dass ich warten musste, bis der Bus anhielt. Am besten würde ich mir Sinclair allein vorknöpfen. Natürlich stellte sich nun die Frage, wie ich das bewerkstelligen wollte.
Drei Minuten später fuhren wir auf den großen Parkplatz neben dem Footballfeld. Ich hatte noch immer keinen idiotensicheren Plan, aber ich hatte eine Schachtel Pralinen und eine Tüte voller Feuchtigkeitstücher in meiner Tasche. Nicht gerade die typischen Utensilien unserer Berufssparte, das muss ich zugeben, aber ich bin schließlich auch eine Frau, die einst ihrer Tochter dabei half, ein Diorama des Vatikans ausschließlich aus Eierschalen und Kräckern zu bauen. Ich würde damit schon auskommen.
Als Carl den Bus hinter der Schule parkte, wühlte ich in meiner Tasche herum und fand die Feuchtigkeitstücher. Ohne sie herauszuholen, öffnete ich das Fläschchen und schüttete das Weihwasser über die Tücher. Beinahe konnte ich die Werbekampagne vor meinem inneren Auge sehen: Gesegnet sei der Popo… Jetzt mit Aloe Vera!
Ich schüttelte mich und richtete meine Gedanken auf das, was vor mir lag.
Die Feuchtigkeitstücher noch immer in meiner Tasche verborgen, stand ich auf und ging in den hinteren Teil des Busses, wo Sinclair saß. »Okay, Leute«, sagte ich, während ich auf ihn zusteuerte. »Wenn der Bus seine Türen öffnet, steigen wir alle zusammen aus, bilden zwei Reihen und gehen dann gemeinsam in die Schule.«
Ich lehnte mich mit der Hüfte gegen den Sitz, der sich vor Sinclair befand, und zog wie nebenbei eine Praline aus der Tasche. »Möchten Sie eine?«
Sinclair knurrte etwas Unverständliches, was ich als ein »Nein« interpretierte. Sein Sitznachbar Morrison sah so aus, als ob er gern zulangen würde. Doch dann murmelte er etwas über seinen Blutzuckerspiegel.
Während ich die Praline auswickelte, machte Carl, wie ich vorhergesehen hatte, eine scharfe Wendung, so dass der Bus schwankte. Auch ich kam ins Wanken und hielt mich an Sinclair fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dummerweise schmierte ich dabei Schokolade auf seinen Ärmel und seinen Arm.
Natürlich begann ich mich sofort zu entschuldigen. Sinclair zeigte sich kaum berührt. Er wirkte steif und schweigsam. Möglicherweise einfach nur ein alter müder Mann. Möglicherweise aber auch ein verärgerter Dämon. Ich beobachtete sein Gesicht, während ich seinen Ärmel mit einem Taschentuch abtupfte und versuchte, in seinen Augen einen Hinweis darauf zu finden, was er wohl dachte. Im Grunde wollte ich herausfinden, ob er wusste, wer ich war. Ich hoffte, dass er keine Ahnung hatte. Das Weihwasser konnte
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