Vom Daemon verweht
gut. Hörst du überhaupt zu? Ich habe gewonnen.«
»Den Aufsatzwettbewerb?« Carl sah neugierig zu mir nach hinten. Ich winkte, um ihm so zu zeigen, dass in meiner Welt alles in Ordnung war, was, wie ich hoffte, auch tatsächlich der Fall war. Endlich stieg er aus.
»Genau!« Allie hatte die vergangene Woche bis spät am Abend mit meinem Laptop an unserem Küchentisch gesessen und einen fünfseitigen Aufsatz über die Familie und Weihnachten für einen Wettbewerb der Lokalzeitung geschrieben. Zum Schluss hatte ich das Ganze noch einmal für sie durchgesehen und korrigiert, und es war mir sogar gelungen, nicht allzu viel zu weinen.
»Ach, Schatz«, sagte ich und versuchte nun den Sprung von beunruhigter Irritation zu mütterlichem Stolz. »Das ist ja wunderbar!«
»Man hat mich gebeten, ihn heute vorzulesen. Du bist doch schon auf dem Weg hierher, oder? Du kommst doch auch nicht zu spät?«
»Natürlich nicht. Ich bin mehr oder weniger fast da. Noch fünf Minuten. Höchstens zehn.«
Neben mir machte sich Sinclair wieder daran aufzustehen. Ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und zog meine Hand mit dem Feuchtigkeitstuch aus der Tasche. Während Allie begeistert weiterredete, begann ich mit einer kleinen Ecke die Schokolade von seinem Ärmel zu entfernen. Seine Haut berührte ich bewusst noch nicht, da ich hoffte, ihn so, falls er ein Dämon war, in falscher Sicherheit zu wiegen. Vor allem jedoch wollte ich das Ganze noch etwas hinauszögern. Falls es sich bei ihm tatsächlich um ein Wesen aus der Hölle handelte, würde es ziemlich laut werden, sobald das Weihwasser auf seine Haut traf. Für alle Beteiligten war es deshalb das Beste, das Telefongespräch erst einmal zu beenden, ehe Sinclair seinen ersten Schrei ausstieß.
Alles in allem eine durchdachte, ruhige und gelassene Herangehensweise.
Dummerweise funktionierte sie nicht.
»… und sie wollen es sogar veröffentlichen!«, erzählte Allie gerade.
Ich versuchte noch schnell »Tschüss« und »Erzähl mir das alles, wenn ich da bin« zu sagen, aber es gelang mir nicht mehr. Sinclair sprang aus dem Sitz hoch und warf sich mit der Kraft und Energie eines besessenen Menschen gegen mich. Ich sah, was geschah, konnte aber nicht rechtzeitig reagieren. So gelang es mir nur, rasch ein wenig nach rechts zu treten, doch er traf mich mitten gegen den Brustkorb. Ich stürzte nach hinten über eine Armlehne auf der anderen Seite des Ganges. Ein lauter Schrei ertönte, und das Telefon flog mir aus der Hand. Ich hörte noch, wie meine Tochter entsetzt »Mami!« schrie. Dann Stille. Das Telefon hatte offenbar seinen Geist aufgegeben.
Sinclair versuchte, an mir vorbeizurennen, was ich aber nicht zulassen wollte. Ich holte mit dem Fuß aus und schaffte es, den untoten Satansbraten ins Stolpern zu bringen, so dass er auf dem Boden landete.
Ich befand mich direkt hinter ihm, denn ich war aus meiner unangenehmen Lage auf der Armlehne aufgesprungen, nur um mich nun in eine ähnlich unangenehme Lage zu begeben, indem ich mich auf seinen Rücken stürzte. Dämon oder nicht – dieser verdammte Hurensohn hatte meine Tochter erschreckt. Und dafür würde er büßen.
Ich hatte noch immer das Feuchtigkeitstuch in der Hand und schlug es ihm nun auf die Glatze. Zu meiner Zufriedenheit hörte (und roch) ich ein Brutzeln, und Sinclair zuckte zusammen. Ein Schrei aus der Tiefe der Hölle erfüllte den Bus, und für einen Moment befürchtete ich, dass mir das Trommelfell platzen würde.
Ein verwundeter Dämon ist besonders stark. Er befand sich also in null komma nichts wieder auf den Beinen, während ich mich wie eine Klette an ihn hängte. Meine Arme hatte ich um seinen Hals geschlungen und drückte das noch immer nasse Feuchtigkeitstuch gegen die entblößte Haut seines Halses. Der Gestank verbrannten Fleisches war so ekelhaft, dass ich würgen musste. Trotzdem hielt ich ihn mit meinen Beinen umklammert; er kam kaum vorwärts.
Ich hatte die letzten drei Monate damit verbracht, wie eine Wahnsinnige zu trainieren, um meine eingeschlafenen Fähigkeiten in Karate, Taekwondo und einem halben Dutzend weiterer Selbstverteidigungsarten wieder auf Vordermann zu bringen. Doch in diesem Moment nutzte mir keine davon. Ich benahm mich eher wie Timmy, wenn er nicht ins Bett gehen will.
Da Sinclair im hinteren Drittel des Busses gesessen hatte, befanden wir uns keine drei Meter von der hintersten Reihe und der Tür zur Bustoilette entfernt. Er schleppte sich also dorthin und drehte sich
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