Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
latente Botschaften beinhalten. Dies geht oft mit spirituellen Erfahrungen einher, die durch die innere Betrachtung ausgelöst werden. Da sie zumeist in symbolischer Form auftauchen, sind sie für Außenstehende nicht einfach zu entschlüsseln, da die Sprache sie nicht zu fassen vermag. Während einer therapeutischen Sitzung sah ein Klient an einem Regentag plötzlich die Sonne scheinen, als er sich zu einem Schritt der Versöhnung mit seinem Bruder entschloss.
Sätze von Mystikern, wie etwa »Es gibt nur Leere«, »Alles ist gleich«, »Es gibt keine Dualität«, »In der Gegenwart existieren Ich und Du und Wir nicht«, »Der Suchende und der Weg sind eins« oder »Du bist immer schon dort, wo du hinmöchtest« werden verwundert zur Kenntnis genommen, wenn eigene Vorerfahrungen fehlen. Für jemanden, der nie einen ähnlichen Zustand erlebt hat, klingt dies zunächst befremdlich, vielleicht sogar widersprüchlich. Wie soll ich nämlich ein Individuum sein und gleichzeitig nicht mehr als Person existieren? Ähnlich schwierig wäre es, Blindgeborenen die Abendröte am Meeresstrand nahebringen zu wollen. Der Reifegrad, die Aufnahmekapazität und die Flexibilität innerer Schemata entscheiden über Qualität und Tiefe des Wahrgenommenen.
Die Reichweite des inneren Erkennens ist immer von seelischen und spirituellen Wachstumsprozessen abhängig. Nur durch die kontinuierliche Zunahme von Offenheit, Wertschätzung, Liebe und Achtsamkeit, sich selbst und anderen gegenüber, können Bewusstseinsschranken aufgehoben werden und sich die Räume im Inneren öffnen.
Dies sind nicht nur intellektuelle Lernschritte, sondern auch emotionale. Wir wissen, dass etwa nicht integrierte Schattenaspekte wie Neid, Hass oder Eifersucht Blockaden gegen tiefere Selbsterkenntnis errichten können. Auch paranormale Wahrnehmungen können durch die Lockerung von Widerständen durchaus möglich werden. Ein Seminarteilnehmer sah in einem veränderten Bewusstseinszustand seinen Vater in einer CT-Röhre liegen, und später erfuhr er, dass sein Vater zur selben Zeit wegen eines schweren Hirnschlags ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Die traditionelle Wissenschaftstheorie muss erweitert und ergänzt werden, will man solche Erfahrungen nicht als unwirklich oder illusionär abtun. Es ist notwendig, die Innenschau als wichtige und legitime Erkenntnismethode anzuerkennen, gerade angesichts der wachsenden Zahl spirituell Suchender.
Erst wenn man sich selbst wahrnehmen kann, gewinnt man Einsichten über die Grundlagen der Existenz. Dadurch werden die inneren Spielräume weiter, und man beginnt in sich selbst zu ruhen, sich in der Welt zu Hause und mit dem Leben verbundener zu fühlen – also mehr Mensch zu sein. Wenn ich mein Inneres genauer spüren kann, kann ich auch bessere Entscheidungen treffen und im Leben glücklicher werden. Auf allen Ebenen bewirkt dies Wandlung und Reifung, um frei, ruhig und offen zu werden. Erst wenn ich zu mir selbst komme, werde ich herausfinden, wer ich wirklich bin und weshalb ich lebe. Auf diesem Weg lerne ich, verantwortlich mit mir und der Welt umzugehen, Lebensaufgaben besser zu bewältigen und eine liebevolle Einstellung zum Leben zu entwickeln. Selbsterkenntnis ist ohne Bewusstsein nicht vorstellbar. Bewusstsein zu haben ist ein essenzielles Merkmal des menschlichen Seins. Das Wesen des Bewusstseins ist rätselhaft und in seiner Form unbestimmt. Dennoch sollen hier einige Grundlinien aufgezeigt werden.
Erkennen und Bewusstsein
Erkennen ist ein Akt des Bewusstseins, und Erkenntnis ist der Inhalt, den ich im Bewusstsein antreffe. Das Bewusstsein klärt, differenziert, entwirft, vergleicht, lässt los, übt und kann sich sogar von außen betrachten. Das Bewusstsein ist weder über die Materie noch über den Geist alleine zu erklären, denn es berührt, durchzieht und durchdringt unterschiedliche Zustandsformen. Es ist fähig, neue Phänomene und Strukturen spontan herauszubilden.
Auch wenn Bewusstseinsprozesse des Individuums in der Großhirnrinde repräsentiert sind, lassen sich jedoch ihre Inhalte nicht darüber ermitteln. Dass ich denke oder fühle, kann über Hirnströme abgebildet werden, aber nicht, was ich denke oder fühle. So ist es auch nicht verwunderlich, dass durch Beeinträchtigungen der neuronalen Funktionen das Bewusstsein getrübt werden kann.
Wenn das Bewusstsein normal funktioniert, entwirft es fortwährend ein in sich zusammenhängendes Selbst- und Weltbild. Dies befähigt den Menschen, zu sich
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