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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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Kohärenz und Integrität in der Zeit besitzen. Obwohl wir glauben, eine bleibende Identität zu besitzen, sind wir doch in jeder Sekunde jemand anderer. Diese Veränderungsprozesse werden in dem konstruierten Selbstbild vernachlässigt, so dass wir uns am Morgen, wenn wir aufstehen, als derselbe erleben, der am Abend vorher ins Bett gegangen ist. In herausfordernden Lebensabschnitten wie in der Midlife-Crisis werden uns dann diese Unterschiede bewusst und führen zu einer Identitätskrise.
    In den persönlichen Theorien über uns und die Welt verweben sich angetroffene und konstruierte Inhalte zu einem Sinnganzen, um rasch neue Situationen oder andere Menschen einordnen zu können. Wie adäquat nun Bedeutungszuweisungen sind, hängt von den verfügbaren Erfahrungen ab, die als Raster dienen. Ein Schlüsselreiz, wie etwa der Schnurrbart eines großen Mannes, genügt, wenn jemand durch entsprechende Vorerfahrungen geprägt wurde, um ihn als bedrohlich wahrzunehmen. Oder wenn ein Bekannter grußlos vorübergeht, werden wir ihm arrogantes Verhalten unterstellen, obwohl wir nicht wirklich wissen, was gerade in ihm abläuft. Aber auch ein komplexes Ereignis, wie zum Beispiel ein Unfall, kann zu spontanen sinnstiftenden Spekulationen über die Ursachen führen. So teilte mir ein Klient mit, dass er deshalb verunglückt sei, weil er in einem früheren Leben anderen Menschen gegenüber zu überheblich gewesen sei. Wäre er nun ein Katholik, könnte er vielleicht sagen, dass er die letzten Wochen nicht zur Sonntagsmesse gegangen sei und dafür bestraft werde. Ein Atheist würde das als reinen Zufall sehen und sich darüber beklagen, dass er gerade in diesem Moment an der fraglichen Stelle war.
    Die genetische Ausstattung, die individuelle Lerngeschichte, die gesellschaftlich-kulturellen Rahmenbedingungen und der eigene Wille entscheiden nun darüber, wie starr oder beweglich die inneren Schemata an neue Situationen angepasst werden können. So können aus frühen Ängsten rigide Lebenseinstellungen entstehen, die Lernerfahrungen vermeiden und zu einem Gefühl des Feststeckens führen. Eine künstlerisch veranlagte Frau traute es sich nicht zu, sich an einer Kunstakademie zu bewerben, weil die Eltern ihre Fähigkeiten abwerteten. Erst wenn die dahinterstehenden schmerzlichen Erlebnisse integriert werden, kann die Psyche durch die neugewonnene Stabilität die inneren Koordinaten erweitern und die Entwicklung wieder in Fluss bringen. Wenn es uns dann gelingt, vorschnelle Bedeutungszuweisungen wieder loszulassen und stattdessen Geduld aufzubringen, um zu spüren, was wirklich von innen kommt, würde das der Reifung dienen. Die automatischen Reaktionen wären unterbrochen, und die inneren Strukturen könnten sich, entsprechend den neuen Informationen, konstruktiv verändern.
    Aus dem Pool an Informationen, die zur Verfügung stehen, werden jene ausgewählt, die am besten zum inneren Kontext sowie zu den momentanen Bedürfnissen, Stimmungen, Interessen und Wünschen passen. Ist man hungrig, werden Restaurants und Gaststätten prägnanter wahrgenommen, oder wenn jemand ängstlich ist, wird er in den Nachtstunden eine mäßig beleuchtete Straße meiden. Auch Erfahrungen in der Kindheit, die zu einem mangelnden Selbstwertgefühl geführt haben, können zu fehlgeleiteten Schlüssen führen, wenn sich beispielsweise jemand eine Aufgabe nicht zutraut, obwohl er die Fähigkeiten dazu hätte.
    Deshalb ist es hilfreich, in sich zu gehen, um herauszufinden, welcher unbewusste Prozess gerade die ablaufenden Eindrücke lenkt, um Spielräume zu schaffen und festgefahrene Muster zu überwinden.
    Auch wenn Objektivität gefordert ist, sind unsere Einsichten immer subjektiv gefärbt, weil man sich selbst im Erkenntnisakt gewöhnlich nicht auszulöschen vermag. Wenn zwei Menschen gleichzeitig einen Autounfall beobachten, werden sie dem Polizisten dennoch unterschiedliche Versionen schildern. Natürlich ist es auch möglich, sich auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen, doch nie wird es zu einer vollständigen Übereinstimmung kommen. Sogar ein und dieselbe Person wird zu einem anderen Zeitpunkt zu unterschiedlichen Interpretationen kommen. Persönliche Einsichten sind wandelbar, instabil und vieldeutig.

    Auch persönliche Gestimmtheiten wie Ärger, Traurigkeit oder Erregung können die Inhalte des Erkennens genauso entscheidend beeinflussen wie unterschiedliche Bewusstseinszustände; denken wir an Trancereisen oder tiefe Meditation. Gleiches gilt

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