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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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nicht, sich zu ergeben oder zu resignieren. Die Aufgabe, sich im Rahmen der Möglichkeiten zu verwirklichen, das Beste anzustreben und seine Handlungsspielräume optimal zu nützen, bleibt stets aktuell.
    Es ist ein eigenartiges Miteinander von Begrenztheit und Unbegrenztheit, von expliziter und impliziter Welt, mit dem man konfrontiert wird. So ist das Wesen Mensch in ein Körperschema eingepasst. Die durch den Leib vermittelte Subjektivität ist von Anbeginn an vielen Prägungen, Einflüssen und Reifungsprozessen ausgesetzt. Indes können diese Begrenzungen, die sich manchmal noch durch Krankheit und Alter vermehren, jederzeit transzendiert werden. Wenn das Bewusstsein tiefer und weiter wird, relativieren sich die individuellen Nöte, denn das Öffnen und Durchgehen von Blockaden stößt den transpersonalen Raum auf. Der Blick wird für das Ganze frei, Energieströme fließen, und die existenzielle Verbundenheit scheint durch. Die Begrenztheit ist dann nicht mehr das Hindernis, sondern die Eingangstür zum Unendlichen. Die göttliche Natur gewinnt an Einfluss, und man wird für das, worauf es im Leben ankommt, durchlässiger, weil man eng mit dem Dasein verbunden ist. Spirituelle Werte, wie die Liebe zu allen Wesen, werden dann nicht mehr als äußerliche Forderungen erlebt, sondern mit Lebendigkeit erfüllt. Macht dient nicht egoistischen Zielen, sondern geht in Verantwortung für eine gesunde Evolution über. Schicksalsschläge oder Störungen sind kein unnötiger Ballast mehr, sondern verdichten sich zu einer wirkungsvollen Lebensschule, in der Erlerntes sich bewähren und Potenziale sich entfalten können. Innig mit dem Dasein verbunden, kann man die Aufgaben und Herausforderungen zum Wohle aller besser bewältigen.

    Um dieses Ziel zu erreichen, sind tägliche Übung und stetige Selbstbemühung unumgänglich. Erst wenn die gewohnten Denkstrukturen aufgebrochen werden, können neue Innenräume für das Umgreifende frei werden. Aus diesem Grunde ist das Loslassen eine Haupttugend auf dem spirituellen Pfad. Buddhistische Lehren sehen darin, dass man etwas festhalten beziehungsweise über etwas verfügen will, die Hauptursache menschlichen Leidens. Wenn man aber gründlich genug das Wesen der Dinge durchdringt, weiß man, dass nichts von Dauer ist: weder Besitz oder Gegenstände jeglicher Art noch Vorstellungen, Gefühle oder Empfindungen. Mit dem Loslassen erkennt man an, dass alles kommt und geht. Etwas behalten zu wollen, was vergänglich ist, ist ein ungerechtfertigter Machtanspruch, der dem Werden der Schöpfung entgegensteht.
    Darüber hinaus legt sich ein Schleier über die wahre Natur des Menschen, wenn man die Inhalte des Bewusstseins überbetont. Wenn jemand auf seinen Partner eifersüchtig ist, wird er sich vielleicht den ganzen Tag über mit diesem Thema beschäftigen, Telefonkontakte oder Mails kontrollieren und vieles mehr. Die Überidentifizierung mit der Eifersucht macht ihn nicht nur unempfänglich für die Liebe seines Partners, sondern auch hellhörig für alles, was mit seinen Befürchtungen zusammenhängt. Dauert dieser Zustand länger an, verengt sich das Bewusstsein. Von Vorstellungen besessen, betrogen zu werden, wird alles andere vernachlässigt. Die negativen Folgen dieser »Schwerhörigkeit« für Freundschaften, Beruf und Selbstgefühl sind bekannt. Dieser Mensch besteht dann nur noch aus Misstrauen. Erst wenn es ihm gelingt, davon abzulassen, wird er wieder offener.
    Wer den Aktivitäten des Geistes eine zu hohe Bedeutung beimisst, wird davon in Beschlag genommen. Sich davon zu befreien, um einen tieferen Bezugspunkt zu finden, ist Ziel der meisten spirituellen Wege. Das ist eine große Herausforderung, weil die gewohnten Identifizierungen und Abgrenzungen auch Sicherheiten bieten. Wenn nun diese polarisierenden Vorurteile wegfallen, weil Begrenzungen aufgehoben werden, gerät die personale Identität in eine Krise. Sie kann nur bewältigt werden, wenn man hingebungsvoll dem Transformationsprozess folgt und sich vertrauensvoll der Führung der Kundalini überlässt. Die bisherigen inneren Strukturen werden erweitert, um das Göttliche aufnehmen zu können. Dabei unterstützend wirken regelmäßiges Innehalten, Meditieren, Beten oder Kontemplieren, weil die Stille genau diese Zwischenräume ausdehnt. Das Größere in uns kann sich besser ausbreiten, ins Herz fließen und den Alltag beseelen. In gnadenvollen Augenblicken, wenn etwa bei einem Abendspaziergang das leuchtende Sternenmeer

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