Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
verengt das Herz und beschleunigt die Atmung. Dadurch entsteht eine Spannung, die sich belastend auf die Selbstempfindung und die Kommunikation auswirkt. Wird dieser destruktive Affekt dann noch in die Tat umgesetzt, wird der Konfliktpartner entsprechend reagieren, intrigieren oder mir Schlechtes wünschen. Diese Zwietracht, die manchmal Jahre andauern kann, vergiftet und erschwert das Leben. Dies hat zur Folge, dass ich keinen inneren Frieden finden kann. Dann gibt es häufig zusätzliche Wirkungen, die aber nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Situation stehen müssen. So kann es sich ergeben, dass man in einer Situation, in der man selbst Hilfe bräuchte, übersehen wird oder auf Ablehnung stößt. Wie ich andere behandelt habe, wirkt in gewisser Weise auf mich zurück. Wer diesen Zusammenhang erst einmal in seiner radikalen Konsequenz durchschaut, kann enorme Einsichten darüber gewinnen, wie Leiden entsteht. Da man beständig mit dem konfrontiert wird, was man inszeniert hat, kann man aus heiklen Situationen eine Menge lernen, wenn man sie analysiert und kontempliert. Sie geben uns darüber Aufschluss, was zu verändern ist.
Drei Arten von Karma können unterschieden werden: Gegenwärtiges Karma sind die Effekte und subtilen Eindrücke, die ein Individuum im Hier und Jetzt fortwährend erzeugt. Vergangenes Karma sind die Umstände und Bedingungen, die sich jetzt zeigen und die wir in der Vergangenheit, die sich weit über unsere Lebensgeschichte hinaus erstrecken kann, verursacht haben. Von potenziellem Karma kann man sprechen, wenn man in der Vergangenheit etwas verursacht hat, das sich bisher aber noch nicht manifestiert hat. Die Art und Weise, wie wir leben, wird immer Konsequenzen haben. Das gilt selbstverständlich auch für positive Einstellungen. Wer regelmäßig seine Übungen durchführt, Mitgefühl übt und seinem Nächsten Gutes tut, wird glücklicher. Selbst wenn dadurch Leiden nicht aus dem Leben verschwindet, werden begünstigende Faktoren die Bewältigung von problematischen Verläufen vereinfachen.
Eine achtzigjährige Frau, die zeitlebens Hilfesuchende in ihrem Haus aufgenommen und für sie gebetet hatte, musste sich einer schweren Herzoperation unterziehen. Überraschend positiv überstand sie schwerste Komplikationen. Sogar der behandelnde Professor kümmerte sich in einer ungewöhnlichen Weise um sie. Der spirituelle Schutz von Heiligen ist sprichwörtlich. In gefährlichsten Situationen bleiben sie unversehrt. Mutter Teresa konnte bis ins hohe Alter den Kranken ihre Hilfe zuteilwerden lassen. Die außergewöhnlichen Fähigkeiten von Yogis, in denen sie scheinbar Naturgesetze überwinden, sind weithin bekannt.
Karma sollte man aber nicht einem Lohn-Strafe-System unterordnen, sondern als wertfreie Lernchance begreifen. Es fokussiert, schärft und bringt in den Vordergrund, was bisher unbeachtet blieb. Die Lehre von Karma schreibt auch nicht zwingend die Anerkennung der Reinkarnation vor. Allein wenn man das Karmaverständnis auf das gegenwärtige Leben anwendet, hat es segensreiche Wirkungen. Wer etwa heute seinen Neidkomplex bewältigt, wird viele frühere Aktionen, die damit zu tun hatten, bereinigen können. Niemals ist es für eine Umkehr zu spät. Menschen, die einen spirituellen Weg gehen und tiefe Einsichten in diese Zusammenhänge erlangen durften, sind besonders verpflichtet, diese konsequent umzusetzen. Wer sich bemüht, Wahrhaftigkeit, Mitgefühl und Verantwortlichkeit zu üben, wird auf jeden Fall Verstrickungen auflösen.
Weitergehend stellt sich natürlich die Frage, ob nicht die Bedingungen, in die man hineingeboren wird, schon das Ergebnis von Karma sind. Dabei denke ich an viele Atemerfahrungen, in denen die Betreffenden glaubten, dass es nicht zufällig sei, dass Ihnen bestimmte Anlagen mitgegeben wurden und genau dieses Elternhaus für sie wichtig war. Natürlich ist diese Debatte kompliziert, weil daraus häufig naive Schlüsse gezogen werden. Die implizite Welt ist nicht so einfach gestrickt, wie das manchmal bei den Vertretern eines esoterischen Determinismus angenommen wird. Dennoch scheint es eine innere Logik zu geben, die uns zum größten Teil verborgen bleibt, wenn man Lebensverläufe genauer unter die Lupe nimmt. Auch wenn man um bessere Lebensbedingungen kämpft, kann es auf keinen Fall schaden, dem eigenen Schicksal zunächst wertschätzend zu begegnen, also es so anzunehmen, wie es ist. Ich kann niemand anderer sein, als ich bin. Das heißt aber
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