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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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verliert. Natürlich ist der Schweregrad von Schicksalen unterschiedlich, aber man wird keinen Lebenslauf ohne Hindernisse finden.
    Dann ist es wichtig, davon auszugehen, dass auch die schwierigsten Situationen vergänglich sind, auch wenn sie lange bestehen. Es gibt immer eine Zeit vor der Krise und eine Zeit danach. Schwere Zeiten genauso wie glückliche Momente sind nicht von Dauer. Darüber hinaus enthält jede Störung ein kreatives Potenzial, einen verborgenen Sinn und eine Lernchance. Deshalb sollte man nicht verkniffen und erbost warten, bis der Spuk vorbei ist. Genau inmitten dieser Barriere ist eine faszinierende Botschaft zu finden. Man muss sich auf den Engpass einlassen, tiefer in seine Struktur eindringen, um erkunden zu können, was sich dadurch ausdrücken möchte. Inmitten der Schwierigkeit ist die Lösung zu finden. Wenn man sich ablenkt, betäubt oder wegschaut, verzichtet man auf dieses Geschenk. Am besten ist, die Störung zu vergegenwärtigen, indem man innere Resonanzen, mögliche Bilder oder Zustände zulässt. Dann kann man auch direkt fragen, wie etwa: Was möchtest du mir sagen oder mitteilen? Wenn man in diesem Prozess bemerkt, wie sich Spannungen lösen, dann ist es günstig, trotzdem noch weiter zu kontemplieren. Symbole oder traumähnliche Sequenzen, die im geschwächten Zustand leichter ins Wachbewusstsein strömen, können weitere wichtige Hinweise geben. Zudem können dadurch bisher verleugnete Aspekte der Persönlichkeit zum Vorschein kommen. Auf jeden Fall sollten die Einsichten notiert oder vielleicht sogar in ein Bild gebracht werden. Krisen können, wie wir wissen, auch Entwicklungsschübe auslösen und ruckartig klarmachen, was zu tun ist. Dabei werden oft vertraute Denkgewohnheiten aufgebrochen und Prioritäten neu geordnet.
    Jede Situation kann bereichernd sein, auch wenn sie noch so überflüssig scheint. Jean Gebser (in: Müller, 1999, S.54) vertritt die Einsicht, »dass alles, was uns geschieht, gestaltend und kräftigend zu unserem Leben, nämlich zu uns selber gehört und dass es somit durchaus abwegig ist, sich über Missgeschick und dergleichen zu beklagen …«.
    Jedes Hindernis ist ein Wegweiser und ein ermutigender Lehrer. Es sind Perlen, die darin versteckt sind. Um sie nicht zu übersehen, sieht Keshab (in Haich, 1958, S.41) das Leben selbst als die wichtigste Schule an: »Ich bin ein vollkommener Schüler. Ich lerne von allem.« Diese Einstellung folgt auch der Einsicht, dass inneres Erleben und äußere Situationen eng miteinander verwoben sind. C. G. Jung (vgl. 1984) hat dafür den Begriff Synchronizität eingeführt. Dieser besagt, dass der psychische Zustand mit einem gleichzeitigen oder zukünftigen objektiven Ereignis korreliert, obwohl kein Kausalzusammenhang ersichtlich ist.
    Als sich zum Beispiel jemand in Heidelberg beim Spazierengehen verirrte, kam er plötzlich an der Stadthalle vorbei, in der noch am Abend eine Veranstaltung mit einem bekannten spirituellen Lehrer stattfand. Kurzerhand entschloss er sich, daran teilzunehmen. Das war der Beginn eines langjährigen spirituellen Weges. Vor nunmehr dreißig Jahren leitete ich eine psychotherapeutische Ausbildungsgruppe. Darin saß ein junger Mann, der vorschlug, dass wir statt der Abendsitzung zu einem Vortrag nach Salzburg fahren sollten. Dort spreche Stanislav Grof über eine neue Art von Psychotherapie. Ich willigte spontan ein. Damit begann für mich ein Weg, der sowohl privat als auch beruflich umwälzende Veränderungen mit sich gebracht hat. Heute wäre für mich ein Leben ohne diese Perspektive nicht denkbar.
    Jenseits der empirischen Alltagswelt gibt es verborgene Wirklichkeitsebenen, die ohne feste Grenzen sind und scheinbar beständig miteinander kommunizieren. Wenn wir bereit sind, uns von vielgestaltigen, amorphen, zeittranszendenten und mehrdeutigen Zeichen innerlich bewegen zu lassen, dann tauchen wir in ein Feld ein, von dem enorme Impulse ausgehen. Ein Schriftsteller, der seinen Zug versäumte, ging in der Bahnhofsgegend an einem Café vorbei, dessen Schaufenster mit einem Gesteck, das die Inschrift »Lyrische Variation« trug, geschmückt war. Er fühlte sich davon angesprochen, kehrte ein und lernte dort einen Verleger kennen, der später seinen Roman veröffentlichte. Natürlich ist es nicht vorneherein entschieden, ob wir solche Fingerzeige auch aufnehmen. Zur Realisation ist unser eigenes Zutun erforderlich. Manchmal muss man es auch riskieren, spontane Entscheidungen zu treffen,

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