Vom Kämpfen und vom Schreiben
längst keinen Feierabend hatte. Ich lernte daraus:
Männer verdienen das Geld.
Männer müssen weniger arbeiten.
Männer haben mehr Freizeit.
Männer haben die Macht. Ich fand das nicht in Ordnung.
Die pädagogischen Leitsätze meiner Jugend hießen:
Das tut man nicht.
Das sagt man nicht.
Was sollen die Leute denken?
Schuster, bleib bei deinen Leisten. Und wenn ich als Neunjährige versuchte, darüber zu diskutieren, hörte ich: Mädchen, die pfeifen, und Hühnern, die krähen, soll man beizeiten die Hälse umdrehen.
Aha.
Die zweite prägende Frau in meinem Leben war meine Großmutter. Eine elegante Dame mit Herz und Schnauze. Sie hatte zwei Kriege überlebt.
Sie erzählte mir oft von einem Freund, den sie ganz früher einmal hatte. Eines Tages wollte sie ihn auf seinem Hof besuchen, sie nahm ihr Fahrrad und packte als Gastgeschenk eine Mettwurst auf den Gepäckträger. Im Dorf angekommen, fragte sie nach dem Weg zum Hof dieses Mannes und wunderte sich über die komische Reaktion der Befragten. Sie fand den Hof und stellte fest, dass ihr Freund dort mit seiner Frau und seinen Kindern lebte. Sie verprügelte ihn mit der Mettwurst und fuhr weinend heim.
Später lebte sie in Berlin und in Düsseldorf und verdiente sich zeitweise ihr Geld als Sängerin und Klavierspielerin beim Tanztee. Sie besaß damals drei selbstgenähte Cocktailkleider. Als sie 1933 meinen Großvater heiratete, stand sie in diesen Kleidern am Kohlenherd und kochte Suppe.
Mein Großvater verließ sie später wegen einer Jüngeren, und meine Oma zog ihre Tochter in der Nachkriegszeit alleine groß. Sie hat ihren Mann bis zu ihrem Tod geliebt und die Trennung nie verwunden. Ich lernte daraus:
Männer lügen.
Männer verlassen Frauen.
Männer verletzen Frauen.
Frauen weinen wegen Männern. Das fand ich auch nicht in Ordnung.
Und wenn ich darüber reden wollte, sagten die beiden wichtigsten Frauen in meinem Leben: Mädchen, die pfeifen, und Hühnern, die krähen, soll man beizeiten die Hälse umdrehen.
Irgendwann war es soweit, dass ich über meinen künftigen Beruf nachdenken musste. Meinen Mädchentraum, Zigeunerin zu werden, zu reisen und frei zu leben, lange schwarze Locken zu haben und in die Zukunft schauen zu können, hatte ich irgendwann aufgegeben. Ebenso wie meinen Wunsch, wenn ich endlich groß wäre, Zarah Leander zu werden.
Die Frauen aus unserem Bekanntenkreis rieten mir, etwas zu tun, mit dem ich auch nach der Heirat und dem Kinderkriegen Geld verdienen konnte. Am besten von zu Hause aus, damit mein Mann keine Nachteile hätte.
Eine Tante schlug mir vor, Friseuse zu werden, weil ich dann zu Hause den Nachbarn die Haare machen könnte.
Die andere meinte, Kindergärtnerin sei gut, dann hätte ich mittags Feierabend, die Kinder wären unter meiner Obhut und mir bliebe genug Zeit für den Haushalt. Nichts für mich. Wollte ich Kinder? Nein.
Wollte ich einen Haushalt? Und noch einen Job nebenbei? Nein.
Einen Mann, den ich bedienen musste und der es sich unter meiner Fürsorge gut gehen ließ? Nein.
Ich wollte mit interessanten Menschen zu tun haben und in einer Welt leben, die nichts mit der Enge meiner Heimat zu tun hatte. Ich wollte eine Wohnung haben, in der keine schwarzgelockte Zigeunerin in Öl über dem Sofa hing, und in der es in der Küche keine Neonhängelampe gab. Ich wollte eigenes Geld verdienen und es alleine ausgeben. Ich hatte von solchen selbstständigen Frauen in unzähligen Büchern gelesen. Ich wusste, dass es sie gab.
»Schuster, bleib bei deinen Leisten!«, sagte meine Mutter und strich ihren Kittel glatt.
Ich rebellierte gegen mein Elternhaus. Meine Haare und meine Fingernägel wurden immer länger, meine Absätze höher und meine Röcke kürzer. Meine Mutter, die Rudolf Schock und Fred Bertelmann verehrte, schockte ich, als ich Bravo-Starschnitte von T-Rex, Alice Cooper und Alvin Stardust im Kinderzimmer aufhängte.
Mit vierzehn begann ich nach der Realschule zu arbeiten. Ich sortierte Milchtüten und Joghurts im Supermarkt ein. Ich bekam fünf Mark in der Stunde. Davon kaufte ich mir Schminke und Klamotten. Mit fünfzehn arbeitete ich in der Taxizentrale. Ich bekam fünfundzwanzig Mark für eine Sieben-Stunden-Schicht. Davon kaufte ich mir Schminke, Klamotten und Zigaretten.
Ich sah aus wie achtzehn und verkehrte in den »Kurparkstuben«. Das war damals der Jugendtreff schlechthin. Ich weiß gar nicht, wie oft ich mich auf dem Klo verstecken musste, wenn das Ordnungsamt kam, um Ausweise zu
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