Vom Kämpfen und vom Schreiben
oft wegen eines Schnupfens schon ihr Testament machen und nicht mal Kinder kriegen können.
Die Karriere meines Mannes ging nun steil bergauf, und ich blieb bei den Kindern zu Hause. Ich lernte Brot backen und Marmelade kochen, hielt unser gemietetes Häuschen und den Garten in Ordnung und fand diesen Job nach vielen Jahren harter Arbeit ganz entspannend. Vor allen Dingen genoss ich, dass ich viel Zeit zum Lesen hatte, das sollte später wichtig für mich sein.
Bis Hardy 1992 arbeitslos wird.
Da stellt der internationale Konzern, für den er inzwischen arbeitet, seine Tätigkeit in Deutschland innerhalb von sechs Wochen ein. Hardy bekommt kaum Arbeitslosengeld, weil er selbstständig gearbeitet hat, ich habe keinen Job, die Kinder sind klein. Die monatlichen Kosten laufen weiter und es kommt kaum Geld herein. Wir verkaufen alles, was wir entbehren können, haben kein Konto, keine Schecks, keine Kreditkarten und kein Auto mehr und verlieren beinahe auch unseren Stolz, als wir zum Sozialamt gehen müssen. Wir sind verzweifelt. Damals beginne ich, an jenem Roman zu schreiben – ein Versuch, der mit dem legendären »e« beginnt und in der Schublade endet, aus der ich ihn erst viele Jahre später wieder hervorholen werde.
Und dann habe ich die nächste Idee, die mindestens genau so verrückt ist wie die, einen Bestseller zu schreiben: Ich bewerbe mich als freie Mitarbeiterin bei unserer Tageszeitung. Forsch marschiere ich in die Redaktion und frage, ob sie mich anlernen können. Ich will schreiben lernen.
Die Redaktionsleiterin kennt mich, sie war früher oft zum Essen in dem Restaurant, in dem ich gearbeitet habe. Sie sieht mich über den Rand ihrer roten Brille hinweg an: »Wir brauchen schon jemanden, der immer auf Abruf bereitsteht, besonders an den Wochenenden und abends. Traust du dir das wirklich zu?« Ich nicke eifrig und erzähle ihr, dass ich schon immer gern geschrieben habe, dass ich in der Schule in Deutsch immer eine Eins hatte, dass ich zu Geburtstagen und Hochzeiten Gedichte schreibe, die immer sehr gut ankommen, dass ich ein Buch schreibe. Später werde ich selbst oft solche Sätze von werdenden Schriftstellern hören, und später werde ich genau so mitleidig lächeln wie die Redaktionsleiterin jetzt. »Okay. Ich melde mich, wenn ich was für dich habe.«
Zu Hause vollführe ich Freudentänze, hänge mich ans Telefon, rufe meine Schwester, meine Mutter und alle Freunde und Bekannten an und verkünde die unglaubliche Neuigkeit. Ich, gelernte Verkäuferin, Thekenbedienung eines Restaurants und ehemalige Mitarbeiterin im Strukturvertrieb eines Finanzkonzerns, werde bei einer richtigen Zeitung arbeiten! Mein Name wird unter Artikeln und Fotos stehen, und ich werde ins Theater gehen können und ins Kino und zu allen möglichen wichtigen Veranstaltungen.
Als Hardy und ich abends mit meiner Schwester und meinem Schwager im Auto sitzen – Hardy sitzt vorne neben mir –, plappere ich wie ein aufgeregtes Kind über meinen neuen Job. Zufällig sehe ich im Rückspiegel, dass die beiden hinten Blicke tauschen und meine Schwester mit der flachen Hand eine Bewegung vor dem Gesicht macht, die soviel wie »Ballaballa« heißt. Ich kann mich zusammenreißen und halte die wütenden Tränen zurück. Diese Reaktion meiner Familie wird viele Jahre lang mein Motor sein, ich will es ihnen beweisen.
Als ich meine ersten Termine bei der Zeitung bekomme, weiß ich gar nichts. Ich kann nicht fotografieren, ich kann keine Filme entwickeln und kriege in der Dunkelkammer Platzangst, ich weiß nicht, wie man einen Computer bedient, und ich habe noch nie einen Artikel geschrieben.
Aber: Ich lerne alles. Mein Eifer ist grenzenlos, mein Fleiß ebenso. Die Reaktionen der Leser und Kollegen sind begeistert. Nur der Verdienst ist lächerlich: Ich bekomme zwanzig Pfennig für eine gedruckte Zeile und fünfzehn Mark für ein veröffentlichtes Foto. Ein durchschnittlicher Artikel hat hundert Zeilen und bringt zwanzig Mark. Brutto. Es ist mir egal. Geld ist nicht alles. Mehr als zwei Brötchen kann ich zum Frühstück sowieso nicht essen.
Die Redaktionsleiterin lehrt mich Sätze, die ich auswendig lerne: Das Wichtigste gehört an den Anfang. Ein Artikel muss von hinten zu kürzen sein, ohne dass er den Sinn verliert. Die »W-Fragen« müssen immer beantwortet werden: Was ist passiert? Wann passiert es? Wer ist beteiligt? Wo geschieht etwas? Warum? Woher stammen die Informationen? Ich lerne, dass ein Artikel, der überm Bruch steht,
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