Vom Kämpfen und vom Schreiben
Glücklichsein. Alles liegt für mich im Schreiben: Angst und Hoffnung, Liebe und Wut, Besessenheit, Irrsinn und Ruhe. Warum tue ich mir das immer wieder an?
Weil mich immer wieder Geschichten finden, die ich erzählen möchte, und weil ich nicht will, dass diese Geschichten verloren gehen.
Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich Lust dazu hatte.
Vielleicht räumt es mit dem »Mythos Schriftsteller« auf, vielleicht zeigt es denen, die sich aus Prestigegründen oder Eitelkeit »Schriftsteller« nennen, dass es ein Beruf ist, der im Normalfall viel Arbeit, Disziplin und extremes Durchhaltevermögen erfordert. Nicht jeder Autor ist ein Schriftsteller. Jeder, der einen Text verfasst, ist Autor dieses Textes, ein Schriftsteller ist er deshalb noch nicht.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein deutscher Schriftsteller von seinem Beruf leben kann, gleicht der Chance auf einen Sechser im Lotto. Bis jetzt habe ich noch nicht gewonnen, aber darum geht es auch nicht mehr. Ich möchte nie etwas anderes tun als schreiben.
Dieses Buch erzählt eine wahre Geschichte. Ja, es ist meine Wahrheit, und ob sie für andere richtig sein kann, wird sich erst zeigen, wenn andere sie kennen. Dafür ist es nötig, sich auf etwas einzulassen, das jeder ernst zu nehmende Schriftsteller beherrschen sollte: nicht reden. Zuhören.
Im Jahr 2011 stelle ich fest, dass es wohl keinen Fehler gibt, den ich beim Schreiben nicht gemacht habe, und gewiss werden noch etliche folgen. Na und? Wächst man an den Siegen oder an den Niederlagen? Seit zwanzig Jahren will ich immer nur eins: schreiben. Ich fresse das Leben, um es als Wort wieder auszuspucken, manchmal in hohem Bogen, manchmal hinter vorgehaltener Hand. Ich sehe alles, vergesse nichts, bin darauf trainiert, Szenen, Sätze, Menschen und Marotten zu speichern. Irgendwann tauchen sie irgendwo als Worte wieder auf.
In den vergangenen Jahren habe ich viele Ratschläge befolgt und die meisten missachtet. Ich wusste lange nichts und später wusste ich alles besser. Ich habe mich überschätzt, und ich habe mich unterschätzt. Ich habe den falschen Leuten vertraut, weil ich so geil aufs Veröffentlichen war, dass ich ihnen vertrauen wollte. Lange habe ich nicht kapiert, welche Triebfedern Eitelkeit und Geltungsbedürfnis sein können, und dass es unter Künstlern selten echte Freunde geben kann. Ich habe zu viel von mir preisgegeben und viel zu wenig. Ich habe ständig gelernt und nichts begriffen. Und dennoch bin ich vermessen und kühn: Solange ich an einem Buch schreibe, ist mir egal, ob das je jemand lesen will, ich muss brennen für meine Idee, für meine Geschichte. Wie sollte ich auch nur einen einzigen Leser begeistern können, wenn nicht ich selbst zuerst begeistert bin?
Aber dann, wenn ein Buch fertig ist, dann beginnt die Unsicherheit: Leser? Welcher Leser? Was wird aus meinem Werk? Wird ein Verlag es wollen? Wird der Buchhandel es bestellen? Werden Menschen es kaufen? Werden sie es sogar lesen? Und: Werden sie es mögen?
Im Jahr 2012 bin ich zweiundfünfzig Jahre alt, Mutter von zwei erwachsenen Söhnen, Ehefrau, Hundebesitzerin und Buchautorin. Die Reihenfolge lässt sich beliebig ändern.
Ich wuchs in einer ganz normalen Familie auf: Mein Vater ging arbeiten, und meine Mutter versorgte drei Kinder und den Haushalt. So lebten alle Leute, die ich kannte. Wir besaßen kein Auto, es gab kein Telefon im Haus und keine Zentralheizung. Meine Mutter schleppte morgens Briketts und Eierkohlen aus dem Keller und heizte den Ofen in der Küche ein. In der Stube war es nur am Abend warm.
Manchmal stand ein riesiger Emailletopf auf dem Küchenherd, in dem sie Wäsche kochte und mit einer Holzzange umrührte, und ich erinnere mich genau an diesen Geruch, der am Waschtag das ganze Haus erfüllte.
Im Sommer hatte meine Mutter im Garten zu tun, erntete Gurken, Bohnen, Erbsen und Obst. Unzählige Einmachgläser und -flaschen standen dann in der Küche, die nach und nach mit Marmelade, Kirschen, Erdbeeren und Stachelbeeren, Rhabarbermost und Apfelmus gefüllt wurden. Meine Mutter bügelte und wusch, nähte und stopfte, strickte und stickte, kochte und putzte, fuhr mit dem Fahrrad zum Einkaufen und hatte von früh bis spät zu tun. Das war eben so.
Mein Vater ging aus dem Haus, wenn wir Kinder noch schliefen, kam am Nachmittag heim und bekam sein Essen vorgesetzt. Dann las er die Bild-Zeitung. Später traf er sich mit seinen Freunden und entspannte sich bei einem Bierchen, während meine Mutter noch
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