Vom Kriege
auf die Rückzugslinie zu reden.
Hier ist es, wo wir den gleich anfangs aufgestellten Grundsatz vorzüglich im Auge haben müssen, daß, was hinten wirken soll, nicht vorn gebraucht werden kann, daß also die Wirkung von hinten oder von der Seite an sich nicht als eine Multiplikation der Kräfte, sondern nur als eine potenzierte Verwendung derselben betrachtet werden muß; potenziert von seiten des Erfolgs, aber auch potenziert von seiten der Gefahr.
Jeder Widerstand durch das Schwert, der nicht ein gerader und einfacher ist, hat die Tendenz, die Wirkung auf Kosten der Sicherheit zu erhöhen. Eine Wirkung von der Seite, sei es mit vereinigter Macht oder von mehreren Seiten mit getrennter und umfassender Macht, gehört in diese Kategorie.
Nun ist aber bei dem Abschneiden des Rückzugs, wenn es nicht eine bloße Demonstration, sondern ernstlich gemeint sein soll, eine entscheidende Schlacht oder wenigstens alle Bedingungen zu derselben die eigentliche Lösung, und eben in dieser Lösung werden sich jene beiden Elemente von größerer Entscheidung und größerer Gefahr wiederfinden. Soll sich also ein Feldherr zu dieser Wirkungsart berechtigt halten, so müssen günstige Bedingungen dasselbe motivieren.
Wir müssen bei dieser Widerstandsart die beiden schon genannten Formen unterscheiden. Die erste ist, wenn der Feldherr mit seinem ganzen Heer den Gegner von hinten angreifen will, entweder von einer Seitenstellung aus, die er zu dem Behuf genommen, oder indem er ihn förmlich umgeht; die zweite, wenn er seine Streitkräfte teilt und durch eine umfassende Stellung mit dem einen Teil den feindlichen Rücken, mit dem andern die Front bedroht.
Die Steigerung des Erfolgs ist in beiden Fällen dieselbe, nämlich: entweder ein wirkliches Abschneiden des Rückzugs und daraus entstehendes Gefangennehmen, oder Zerstreuen eines großes Teiles der feindlichen Streitkraft, oder ein beträchtliches Zurückschnellen der feindlichen Macht, um solcher Gefahr vorzubeugen.
Die gesteigerte Gefahr aber ist in beiden Fällen eine andere.
Wenn wir den Feind mit der ganzen Streitkraft umgehen, so liegt die Gefahr in der Bloßstellung des eigenen Rückens, und es kommt also hierbei wieder auf das Verhältnis der gegenseitigen Rückzugslinien an, wie es bei der Wirkung auf die Verbindungslinien in einem ähnlichen Fall auf ihr Verhältnis ankam.
[460] Nun ist allerdings der Verteidiger, wenn er in seinem eigenen Lande ist, sowohl in seinen Rückzugs- als Verbindungslinien weniger beschränkt als der Angreifende und insofern zu einer strategischen Umgehung mehr befähigt, allein dieses allgemeine Verhältnis greift doch zu wenig durch, um darauf eine wirksame Methode zu bauen; es können also nur die Gesamtverhältnisse der individuellen Fälle entscheiden.
Nur soviel kann man noch sagen, daß die günstigen sich in weiten Räumen natürlich häufiger finden werden als in kleinen; und bei selbständigen Staaten häufiger als bei schwachen, auf fremde Unterstützung harrenden, deren Heere also vor allen Dingen den Vereinigungspunkt mit dem Hilfsheer im Auge haben müssen; endlich, daß sie am Ende eines Feldzuges, wenn sie die Stoßkraft des Angreifenden erschöpft hat, für den Verteidiger am günstigsten werden; ungefähr wieder auf dieselbe Art wie es bei dem Verhältnis der Verbindungslinien war.
Eine solche Flankenstellung, wie die Russen 1812 mit so vielem Vorteil auf der Straße von Moskau nach Kaluga nahmen, als Bonapartes Stoßkraft erschöpft war, würde ihnen beim Anfang des Feldzugs im Lager von Drissa sehr schlecht bekommen sein, wenn sie nicht klug genug gewesen wären, ihren Plan kurz vor dem Torschluß zu ändern.
Die andere Form der Umgehung und des Abschneidens vermittelst einer Teilung der Macht, hat die Gefahr der eigenen Trennung, während der Gegner durch den Vorteil der innern Linien beisammenbleibt, und also imstande ist, den einzelnen Teil mit großer Überlegenheit anzufallen. Sich diesem Nachteil auszusetzen, welcher durch nichts aufgehoben werden kann, dazu kann es nur drei Hauptveranlassungen geben:
1. die ursprüngliche Verteilung der Kräfte, die eine solche Wirkungsart notwendig macht, wenn man sich nicht großem Zeitverlust unterwerfen will;
2. eine große physische und moralische Überlegenheit, die zu den entscheidenden Formen berechtigt;
3. der Mangel an Stoßkraft des Gegners, sobald er sich am Ende seiner Bahn befindet.
Friedrichs des Großen konzentrisches Eindringen in Böhmen im Jahr 1757
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