Vom Kriege
klar zu sein, und sind vielmehr überzeugt, daß örtliche und überhaupt individuelle Verhältnisse die Aufstellung des Verteidigers viel stärker bedingen werden, und daß sich also durchaus nicht allgemein angeben läßt, wer von beiden Teilen in dem Fall sein wird, seine Verbindungslinie mehr bloßzulegen.
Liegen die gegenseitigen Verbindungslinien in einer und derselben Richtung, so wird allerdings derjenige von beiden Teilen, welcher eine schiefe Aufstellung dagegen nimmt, den andern zwingen, ein Gleiches zu tun, dann aber ist geometrisch nichts dabei gewonnen, und beide Teile kommen in dieselben Vorteile und Nachteile.
Wir halten uns also für unsere weitere Betrachtung nur an das Faktum einer einseitig bloßgestellten Verbindungslinie.
Was nun das zweite nachteilige Verhältnis einer Verbindungslinie betrifft, wenn sie nämlich durch feindliches Land läuft, so ist es an sich klar, in welchem Grade sie dadurch bloßgestellt ist, wenn die Einwohner dieses Landes zu den Waffen gegriffen haben, und folglich die Sache so angesehen werden muß, als wenn längs der ganzen Linie hin eine feindliche Macht aufmarschiert wäre; diese Macht ist zwar an sich sehr schwach, ohne Dichtigkeit und intensive Stärke, aber man bedenke, was nichtsdestoweniger eine solche feindliche Berührung und Einwirkung durch die Menge der Punkte sagen will, die sich auf einer beträchtlichen Verbindungslinie einer neben dem andern befinden. Das bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung. Aber auch dann, wenn die feindlichen Untertanen nicht zu den Waffen gegriffen haben, und selbst wenn in dem Lande keine Landwehren und andere Vorzüge kriegerischer Einrichtungen stattfinden, ja, wenn auch das Volk von sehr unkriegerischem Geiste ist, bleibt immer das bloße Untertanenverhältnis zur feindlichen Regierung ein für die Verbindungslinie des andern Teils sehr fühlbarer Nachteil. Der Beistand, welchen ein streifender Haufe durch bloße leichtere Verständigung mit den Einwohnern, durch Bekanntschaft mit der Gegend und den Menschen, durch Nachrichten, durch Unterstützung der Behörden genießt, ist für sein kleines Verhältnis von entscheidendem Wert, und dieser Beistand wird ohne besondere Kraftanstrengung einem jeden solcher Haufen zuteil. Dazu kommt, daß es in einer gewissen Entfernung doch niemals an Festungen, Strömen, Gebirgen oder andern Zufluchtsorten fehlen wird, die dem Gegner immer angehören, sooft wir sie nicht förmlich in Besitz genommen und mit Besatzungen versehen haben.
In einem solchen Fall nun, besonders wenn ihn andere günstige Umstände begleiten, ist die Wirkung auf die feindliche Verbindungslinie auch dann möglich, wenn ihre Richtung senkrecht auf die feindliche Aufstellung ist, denn unsere Streifer brauchen dann nicht immer zum Heere zurückzukehren, sondern sie können in dem bloßen Ausweichen ins eigene Land hinein hinreichenden Schutz linden.
[457] Wir haben also jetzt:
1. eine beträchtliche Länge,
2. eine schiefe Lage und
3. feindliches Gebiet
als die Hauptumstände kennengelernt, unter welchen die Verbindungslinien eines Heeres durch verhältnismäßig geringe Streitkräfte des Feindes unterbrochen werden können; daß diese Unterbrechung wirksam sei, erfordert noch eine vierte Bedingung, nämlich eine gewisse Dauer. Wegen dieses Punktes berufen wir uns auf das, was wir im fünfzehnten Kapitel des fünften Buches darüber gesagt haben.
Aber diese vier Bedingungen sind nur die Hauptverhältnisse, welche den Gegenstand umfassen; es knüpfen sich daran eine Menge örtlicher und individueller Umstände, die oft sehr viel wichtiger und durchgreifender werden als die Hauptverhältnisse selbst. Um nur an die vornehmsten zu erinnern, so nennen wir: die Beschaffenheit der Straßen, die Natur der Gegend, durch welche sie führen, die Deckungsmittel von Strömen, Gebirgen, Morästen, die sie haben können, die Jahreszeit und Witterung, die Wichtigkeit einzelner Zufuhren, wie eines Belagerungstrains, die Zahl leichter Truppen usw., usw.
Von allen diesen Umständen also wird der Erfolg abhängen, mit welchem ein Feldherr auf die Verbindungslinie seines Gegners wirken kann, und indem man das Resultat aller dieser Umstände bei dem einen mit dem Resultat derselben Umstände bei dem anderen vergleicht, kommt man auf das Verhältnis beider Verbindungssysteme, und von diesem Verhältnis wird es abhängen, welcher von beiden Feldherren den andern in diesem Punkt überbieten kann.
Was sich hier in der Entwicklung
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