Vom Mondlicht berührt
war.
Vincent erwartete mich an der Tür und nahm mich in die Arme, während der Countdown weiterging. »Und, wie gefällt dir unser erstes gemeinsames Silvesterfest bisher?«, fragte er. Dabei sah er mich an, als wäre ich sein ganz persönliches Wunder. Was, lustigerweise, genau das war, wofür ich ihn hielt.
»Es gab so viele erste Male in der letzten Zeit... Fühlt sich an, als hätte ich mein altes Leben gegen ein völlig neues eingetauscht«, sagte ich.
»Und, ist das etwas Gutes?«
Statt zu antworten – der Countdown war nun bei »Eins« angelangt –, zog ich sein Gesicht zu mir und er umfasste mich fest mit seinen Armen. Unsere Lippen trafen sich und schon zerrte und zog es in meinem Bauch, bis ich das Gefühl hatte, mein Herz würde zerbersten. Mit einem verträumten Lächeln und halb geschlossenen Augen flüsterte Vincent: »Kate, du bist das Beste, was mir je passieren konnte.«
»Na, ich bin doch nur wegen dir hier«, flüsterte ich zurück.
Er sah mich fragend an.
»Du hast mich aus dem dunkelsten Tal befreit.«
Ich überlegte nicht zum ersten Mal, wie es wohl mit mir weitergegangen wäre, wenn mir Vincent nicht begegnet wäre und ich noch immer in meinem Gefängnis aus Trauer sitzen würde, in dem ich nach dem tödlichen Autounfall meiner Eltern eingesperrt war. Wahrscheinlich würde ich nach wie vor zusammengerollt wie ein Embryo in der Wohnung meiner Großeltern kauern, hätte er mir nicht gezeigt, dass es gute Gründe dafür gab, weiterzuleben. Dass das Leben trotz allem wieder wunderschön sein konnte.
»Du hast dich selbst befreit«, raunte er. »Ich hab dir nur eine Hand gereicht.«
Er zog mich in eine unendliche Umarmung. Ich schloss die Augen und spürte seine Zuneigung warm durch mich fließen.
Als wir uns schließlich voneinander lösten, behielt ich seine Hand in meiner und lehnte den Kopf an seine Schulter. Gemeinsam sahen wir uns im Saal um. Im flackernden Kerzenlicht erkannte ich Jean-Baptiste und Gaspard, die an der Kopfseite nebeneinanderstanden. Ihre Ellbogen berührten sich, ihre stolze Pose sagte deutlich: Ja, wir sind die Gastgeber dieses prächtigen Festes. Gaspard lehnte sich zu Jean-Baptiste, um ihm etwas Vertrauliches zuzuflüstern, der daraufhin laut lachte. Die Anspannung, die nach seiner Ansprache fast greifbar gewesen war, hatte sich durch die Romantik dieses bezaubernden Abends fast vollständig verflüchtigt.
Ambrose umarmte eine begeisterte Charlotte und hielt sie wie eine Puppe in seinen starken Armen hoch über dem Boden. Jules stand bei der Bar und beobachtete Vincent und mich. Als unsere Blicke sich trafen, kräuselte er die Lippen und warf mir einen übertriebenen Luftkuss zu, bevor er sich wieder der sinnlichen, jungen Revenantfrau zuwandte, die sich mit ihm unterhielt. Violette stand neben Arthur. Ihr Kopf lehnte zärtlich an seinem Oberarm, während sie beide die anderen Gäste musterten. Mir fielen ein paar weitere Revenantpaare auf, die sich umarmten oder küssten.
Manche finden tatsächlich die Liebe, dachte ich.
Charlotte hatte mir erzählt, dass Ambrose und Jules richtige Aufreißer waren. Sie gingen mit sterblichen Mädchen aus, hatten jedoch keinerlei ernsthafte Absichten. Jean-Baptiste war auch nicht gerade begeistert von Beziehungen zwischen Revenants und Sterblichen. Er hatte sterblichen »Geliebten«, wie er sie selbst einmal genannt hatte, den Zutritt zum Haus untersagt. Abgesehen von ein paar Polizisten und Rettungssanitätern, denen sie Schmiergelder zusteckten – und ein paar weiteren menschlichen Angestellten wie Jeanne, deren Familien seit mehreren Generationen in Jean-Baptistes Dienst standen –, war ich die einzige Außenstehende, die sie ins Vertrauen gezogen und der sie Eintritt in ihr Zuhause gewährt hatten.
Da die Geheimnisse, die ihr ganzes Wesen mit sich brachten, es so schwierig – wenn nicht gar unmöglich – machten, eine Beziehung zu einem Menschen einzugehen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als unter ihresgleichen nach einem Partner zu suchen. Und, auch das hatte Charlotte gesagt, da standen nicht so viele zur Auswahl.
Schon eine Stunde später löste sich die Gesellschaft allmählich auf und ich signalisierte Vincent, dass ich nach Hause wollte. »Wir müssen noch auf Ambrose warten«, sagte er und legte mir dabei den Mantel um die Schultern. Mir wurde das Herz ein wenig schwer. Ich wollte ihn doch unbedingt darüber ausquetschen, was es mit dieser ganzen Jean-Baptistes-Stellvertreter-Geschichte und der
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