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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henisch
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Erler, der besten diesbezüglichen Adresse weit und breit, probierte er deren einige. Als ihm das endlich ausgesuchte Stück, an dem noch ein paar Änderungen vorzunehmen waren, in die Pension geliefert wurde, in der er logierte, und zwar diesmal vom Sohn des Chefs persönlich, verlief alles wie gehabt, der junge Erler mußte ohne Pelz und Geld unter die Augen seines Vaters treten, und auch der Hauswirt schaute durch die Finger.
    Die Herren sahen sich alle ziemlich ähnlich. Alter: 21 bis 23 Jahre, Größe: ca. 70 Zoll, Statur: mittel bis schmächtig. Gesicht: länglich und blaß, Haare: dunkelbraun, eher lang, Brille mit Argentangestell. Benehmen: freundlich und gewandt, Sprache: gewählt, aber mit gelegentlichem Dialekteinschlag. Lauter Zwillingsbrüder des allerdings erst nach vier Jahren Zwangspause und dann mit Schnurrbart und Fliege agierenden Polizeilieutenants in Civil von Wolframsdorf.
    Aber das war, sagte May, eine finstere Zeit. Weit finsterer noch als die, während der er blind war. Ja, blind war er, ein blindes Kind war er, bis in sein viertes Lebensjahr. Aber es gibt auch spätere Tage, Wochen, Monate, in denen ist es in seiner Erinnerung völlig finster. Doch, er hat davon gehört, daß er in einer Kegelbahn, in der er angeblich übernachtet hat, verhaftet worden ist. Und daß er eine Pistole bei sich gehabt hat, die tatsächlich geladen war. Daß sie ihn zwecks Gegenüberstellung mit den von ihm Geschädigten von Ort zu Ort transportiert haben. Und daß er auf einem dieser Transporte unter Zerbrechung der sogenannten eisernen Bretze entsprungen ist – aber das kann er sich gar nicht vorstellen. Finsternis, sagt er, völlige Finsternis. Er kann sich an diese Vorfälle nicht erinnern. Auch daran nicht, daß er sich im Wald versteckt haben soll, daß er in einer Höhle gehaust haben soll, dass ihn angeblich fünfundzwanzig Gendarmen, unterstützt von der Ernstthaler Turnfeuerwehr, gesucht haben. Daß er kurz nach der Geburt schwer erkrankt sei und das Augenlicht verloren habe, sei übrigens keine Folge atavistischer Schwäche, diese böswillige Interpretation müsse er sich verbitten, sondern der Armut, des Unverstandes und der verderblichen Medikasterei – er war schon immer ein Opfer der Verhältnisse.
    Doch wem erzählt er das? Hört ihm überhaupt noch jemand zu?
    Er lauscht ins Dunkel. Sind die zwei eingeschlafen?
    Das war, murmelt er, in einem anderen Leben, das war im dreckigsten Ussulistan.
    Diese Landstriche hat er hinter sich gelassen.
    Meine guten Eltern, hat er geschrieben, ich habe dieser Tage zwei nordamerikanische Herren getroffen. (Mr. Burton senior & junior haben sie geheißen.) Sie wollen von einer Vergnügungs- und wohl auch halb und halb Geschäftsreise über Leipzig, Frankfurt und Amsterdam zurück in die Staaten. Da ihr bisheriger Hofmeister in Prag geblieben ist, haben sie mir den durchaus annehmbaren Vorschlag gemacht, mit ihnen nach Pittsburgh zu gehen und dort die jüngeren Geschwister des Sohns zu unterrichten. Ich akzeptiere. Ihr werdet diesen meinen Schritt wohl verstehen. Es ist ein Schritt, der mir Aussicht auf etwas mehr Glück bietet. Ich reise ab. Man wird meine Vergangenheit vergessen oder vergeben. Als ein neuer Mensch mit einer besseren Zukunft komme ich wieder.
    Und war es nicht so? Und ist das nicht glänzend gelungen? Mit Glück & Geschick und mit Gottes Hilfe natürlich? – Gewiß, es gibt Neider, es gibt böswillige Schnüffler in seiner Vergangenheit. Die bilden sich weiß der Teufel was darauf ein, nachweisen zu können, daß es nicht so gewesen sein kann, weil es nicht so gewesen sein darf. Daß er bestenfalls bis Bremerhaven gekommen sein soll, behaupten die. Aber daß mit einem Paß wie dem seinen an eine Ausreise natürlich gar nicht zu denken gewesen wäre. In Protokollen der Auswanderungsbehörde haben sie ebenso geschnüffelt wie in alten Passagierlisten. Demnach kann der infolge allerhöchster Gnade vorzeitig aus dem Arbeitshaus Schloß Osterstein zu Zwickau entlassene, aber diverser Eigentumsdelikte erneut dringend verdächtige Carl Friedrich May damals vielleicht das Königreich Sachsen, aber kaum Deutschland verlassen haben.
    Kleinliche, staubige Bürokratengeister! Muß er denn offiziell ausgereist sein, muß sich der Mensch bei allem, was er tut und läßt, registrieren lassen? Seit wann bitteschön stehen denn blinde Passagiere auf der Passagierliste? Und wenn er
schwimmend
das Ufer der Neuen Welt erreicht hat, ist das
seine
Sache.
    Na also!

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