Vom Wunsch, Indianer zu werden
sie ihn aufs Bett.
Gewisse Konstellationen haben eine fatale Tendenz, sich zu wiederholen.
Und dann liegt er da, seiner ganzen Länge nach. Franz K., aus Prag entwichener Aushilfsbeamter der Arbeiter-Unfall-Versicherung. Der Anzug klebt ihm am Körper. So wirkt er noch dünner. Ganz in sein Innenleben zurückgezogen. Man sieht nicht, ob er atmet.
Na, hoffentlich wacht er uns wieder auf, sagt May.
Er fühlt ihm den Puls. Er spürt nichts. Keiner anderen Kraft als der Schwerkraft folgend, fällt der Unterarm wieder in die Ruhelage.
Jetzt mach keine schlechten Witze, Karl, sagt Klara. Ich habe gedacht, nach Old Shatterhands Schlägen erwacht jeder wieder.
Im Prinzip ja. Aber bei dieser schwachen Konstitution …
Ach was, sagt das Herzle und rückt vom Bettrand nach innen.
Knüpft dem Herrn Franz den Schlips auf, öffnet ihm den Kragen.
Na bitte –: Sein Adamsapfel bewegt sich. Tote schlukken nicht.
Allerdings: Vielleicht hat sie sich verschaut.
Sicherheitshalber öffnet sie noch zwei Hemdknöpfe.
Doch. Er atmet. Gottlob! Auf und ab bewegt sich die Hühnerbrust.
Wenn er sich nur nicht verkühlt in den feuchten Kleidern!
Wenigstens dieses nasse Leibchen muß weg.
Ob Karl so freundlich sein kann, ein Handtuch zu holen?
Dieser Herr Franz! Er sieht ja aus wie ein Knabe!
Na, komm schon (Frau Klara rückt ihm den Kopf zurecht): So liegst du bequemer.
Da murmelt er etwas –: Darf ich in Eurem Schoße liegen?
Fräulein. Hat er wahrhaftig Fräulein gesagt?
Was
sagt er? fragt ihr Mann aus der Badenische.
Ich weiß nicht recht, sagt sie. Anscheinend phantasiert er.
Na immerhin (May kommt mit dem Handtuch zurück).
Immerhin. Wer phantasiert, ist lebendig.
(Zur weiteren Erweckung der Lebensgeister hat er auch ein Fläschchen dabei. Gottseidank ist der N APOLEON noch nicht ganz ausgetrunken.)
Dann der Versuch, dem Herrn Franz etwas vom Feuerwasser einzuflößen.
Sein Kopf, wie er nun tatsächlich in Klaras Schoß liegt.
Wie er sich schüttelt.
Er will nicht.
Nein, murmelt er, ich kann nicht. – Tut mir fürchterlich leid, aber ich
kann
nicht mit dir schlafen.
Hoppla, sagt May, das sind aber merkwürdige Phantasien!
Ein Schluck aus der von Herrn Franz verschmähten Flasche wird jetzt nicht schaden.
Aber Karl! sagt Klara. Das wirst du doch nicht ernst nehmen!
Oder vielleicht, murmelt der Herr Franz, kann ich
doch
mit dir schlafen, aber ich kann dich nicht heiraten.
Nun greift auch Klara zur Flasche und tut einen ganz undamenhaften Zug.
Das ist aber interessant, sagt sie.
Warum
denn nicht?
Aber Klara, sagt Karl, alles was recht ist …!
Kein Grund zur Aufregung, Schätzle. Er hält mich doch offenbar für eine ganz andere.
Leni? Frieda? – Noch versucht May zu witzeln.
Nein, Papá, sagt der Herr Franz und nötigt die Frau Klara aus ihrer noch sitzenden in eine fast schon liegende Position, nein, Papá, Fanny heißt sie.
Na also, da kann ich ja ganz beruhigt sein, sagt May.
Aber wo bitte, wenn er sich eine Zusatzfrage erlauben darf, wo bitte soll
er
sich jetzt hinlegen?
Ach komm nur, sagt Klara, hier ist doch Platz genug für drei!
Ich weiß nicht, sagt May, ich finde das alles sehr fragwürdig.
Apropos fragwürdig. Eine Frage, die der Herr Franz der Frau Klara noch immer nicht beantwortet hat …:
Sag mir, warum. Also warum kannst du mich nicht heiraten?
Aber du weißt doch, murmelt Kafka, mein Vater.
Wegfegen, hat er gesagt, er wird dich von meiner Seite wegfegen … Ich soll mich nur in dich einhängen und ihm über den Weg laufen … Dann fegt er dich von mir weg, ich weiß nicht wie.
Jetzt ist die Frau Klara aber ehrlich empört. Auch wenn weder der Sohn noch der Vater sie persönlich gemeint haben.
Hast du das gehört, Schätzle?
Nein. Ihr Mann hat sich in die Sitzgarnitur zurückgezogen.
Zu zweit mit der Flasche. Ihm ist jetzt nicht nach Dreisamkeit zumut.
May legt die Füße auf den Tisch, er muß jetzt die Beine hochlagern, sagt er. Auch wenn solche amerikanischen Sitten sonst gar nicht seine Art sind. Die Füße tun ihm weh, als ob er weiß Gott wie weit gegangen wäre. Allerdings tut ihm auch alles andere weh, er fühlt sich zerschlagen, als hätte
er
einen Schlag auf den Kopf gekriegt und nicht dieser komische Herr Franz.
Dieser komische Herr Franz, mit dem er allmählich die Geduld verliert. Bei aller Sympathie, die er ursprünglich für ihn empfunden hat, bei aller – wie hat er noch vor ein paar Tagen gesagt? – bei aller Zuneigung. Das liegt nicht nur daran, daß
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